Inhalt
- Aus dem Leben unserer Eltern und Vorfahren
- Erinnerungen aus unserer Schul- und Jugendzeit
- Verlobung und Verheiratung
- Erinnerungen an unsere Hochzeit
- Kindermund
- Vorbereitungen für den Beruf unserer Kinder
- Unsere Geschwister und Verwandten
- Geburtstagskalender
- Willkommen!
- Reiseerinnerungen und Reisebekanntschaften
- Fürsorge
- Gesundheitspflege und Heilwesen
- Frohe Ereignisse und Tage
- Ernste Stunden
- Die Toten der Familie
- Verschiedenes
Aus dem Leben unserer Eltern und Vorfahren
Vater August Scholz, geboren zu Küpper Kr. Sagan in Schles. am 3.3.1811. Seine Eltern hatten eine kleine Landwirtschaft u. eine Anzahl Kinder. So mußte er sich selbst seinen Weg suchen. Zuerst in der Landwirtschaft u. in der Stadt tätig, fuhr er dann viele Jahre als Postillion die Post Sagan - Sorau - Berlin. In einer Winternacht wartet man vergeblich auf die fällige Post. Am frühen Morgen findet sich der übermüdete Postillion mit seinen Pferden friedlich schlafend vor der alten Poststation in Sagan. Die Pferde hatten die Verlegung der Station noch nicht erfaßt u. waren mit dem schlafenden Postillion den bisher bekannten Weg gegangen.
Vater Scholz lernte Zimmermann vom 8. März 1849-1852. In der "Königlich Preußischen, in der Provinz Schlesien belegenen herzoglichen Residenzstadt Sagan" bei Zimmermeister Renner. Er war demnach 38 Jahre alt als er zu lernen anfing u. längst verheiratet. Da die Zunft den Lehrlingen das Tabakrauchen verbot, durfte auch er in Gegenwart der viel jüngeren Gesellen, kein Pfeifchen rauchen. - Das Zimmerhandwerk im Winter ohne Arbeit, ging er mit anderen in den Königlichen Forst um Bäume zu fällen. Um 4-5 Uhr aufstehen um bei Tagesanbruch an der Arbeitsstelle zu sein, oft im tiefen Schnee, u. um 8-9 abends wieder daheim. Verdienst? 6 bis 8 Gutegroschen = 72-96 Pfg. doch das Pfund Schweinefleisch 15-20 Pfg. Schafspelz u. Hosen aus Hirschleder lernte ich noch kennen. Die stammten aus feiner Postillionszeit.
Vater Scholz wurde Witwer u. heiratete wieder nach einigen Jahren.
Abschrift des Trauscheines:
"Im Jahre Ein Tausend Acht Hundert Sieben u. Sechzig am neunten 9. Juni 1867
wurde der Zimmermann Johann Casimir August Scholz aus Sagan u. die Jungfrau
Theresia Rosina Johanna Heinrich hierselbst, Tochter des Tagearbeiters Franz
Karl Heinrich zu Nieder Briesnitz Kr. Sagan, in
Gegenwart der beiden Zeugen: Haushälter Ernst Heinrich u. Haushälter Ferdinand
Heinrich in der hiesigen katholischen Kirche von dem damaligen Kuratus B.
Krista kirchlich getraut."
Schon vor 1870 war Vater Scholz Polier u. dann als Fabrikzimmermann tätig in der Tuchfabrik von Carl Harmuth, Parchen, u. hatte dort von 1872 an, seine Wohnung u. 9 M. Wochenlohn. Von Natur mittelgroß u. sehr kräftig, ohne irgend ein organisches Leiden, trug er, im Alter von 72 Jahren, eine Last von 2 Ctr. eine Treppe hinauf - um jungen Leuten zu zeigen was die Alten noch können. Täglich für 10 Pfg. Fleischwurst u. ein kleines Schnäpschen zum Frühstück u. abends sein Pfeifchen war ihm immer ein Fest.
Durch aushilfsweise Bedienung des Fabrikkessels u. Dampfmaschine legte sich der graue Star auf beide Augen u. wurden 1882 u. 1883 operiert in Breslau. Welches Glück, nun wieder, wenn auch nur mit Brille, sehen zu können! Viel Dank stieg auf zu Gott. Von dieser Zeit an war er Invalide, genoß aber weiter das Vertrauen des Herrn Harmuth. Sein Lebensabend war ein stiller u. recht gesegneter. Früh zu Bett gehend, sagte er oft: Gott sei Dank! Es ist auf der ganzen Welt nirgends schöner als im Bett. Am 31. Jan. 1894 ging er im Frieden Gottes zur Ruhe, versehen mit dem heil. Sakrament. Auf dem Friedhof bei einer Bestattung hatte er sich erkältet. Ein Schlaganfall am Abende wiederholte sich am Morgen u. raffte ihn dahin. Als er zur Bestattung an der Fabrik vorbeigetragen wurde, ließ Herr Harmuth den ganzen Betrieb stillstehen um so dem Entschlafenen die letzte Ehre zu erweisen. Auf dem Stadtfriedhof in Sagan ist er bestattet. Efeu u. ein stehender Stein schmücken sein Grab. Bei einem Besuch im September 1929 fand ich es eingeebnet.
Mutter Theresia Scholz geb. Heinrich, geb. am 30. Juli 1827 zu Ober-Briesnitz Kr. Sagan in Schlesien. Ihr Vater hatte ein kleines Häuschen u. ein wenig Land. Um das Jahr 1878 wurde er von einem gefällten Baum erfaßt u. starb an inneren Verletzungen. Er war über 70 Jahr alt. Vater Scholz u. Mutter waren mit uns beiden kleinen Jungen von Sagan aus mit einen Wagen zur Bestattung.
Auch Mutter Scholz war ihr Dörfchen zu eng. Früh schon kam sie nach Sagan. Unter anderen in Stellung bei einem Färber am Markt, am Mühlgraben, ca 10 Jahr, bei einen Jahreslohn von 12 Thaler = 36 Mark. Auch im Haushalt des herzoglichen Stallmeisters (100 Pferde waren im Stall). Dann Berlin im Hedwigskrankenhaus, in der Französischen Gesandtschaft am Pariserplatz - auch in Potsdam auf Schloß Sanssouci. Mit besonderer Freude erzählte sie, auch die Kleider der Königin Fr. W. IV betreut zu haben. Einmal verlangte man von ihr diese Kleider zu küssen, doch zog sie es vor lieber ihren Platz zu verlassen. Spaß machte es uns Kindern, wenn sie erzählte, daß man zu ihrer Zeit in Berlin die Bedürfnisanstalten in Gestalt eines Eimers unter einer Decke "Unter den Linden" herumtrug!
40 Jahr alt, heiratete sie u. kam von Sorau wieder nach Sagan. Ihrer Ehe entsprossen 2 Söhne, Paul, geb. d. 11.6.68 u. Hermann, geb. d. 23.1.70).
Die Eltern lebten nur ihrem Heim u. ihren Kindern. Beide waren von Haus aus gläubige Katholiken. Im Jahre 1873 lernten sie Gottes Worte kennen, das Gott durch Wiedersendung von Aposteln getan, u. wurden 1874 Glieder der Kathol. Apostol. Gemeinde zu Sagan. Der Vater baute mit Hilfe anderer den Altar, Kanzel u. v. m. Die Mutter wurde eine treue Diakonisse in der Gemeinde u. erzog ihre beiden Knaben in der Furcht Gottes in der sie selbst lebte u. ihre Freude war. Noch ein Knabe, machte folgendes einen tiefen Eindruck auf mich. Herr Harmuth hatte aus Liebhaberei eine Erdbeerpflanzung in einem Garten auf dem Fabrikdach. Wir Kinder durften nicht eine Beere nehmen u. mußten warten bis Hr. H. uns einige schenkte. Mutter hatte die Pflege u. wir halfen gießen, was uns viel Freude machte. Hr. H. gab meiner Mutter 10 Mark als Lohn, den 10. Teil der Einnahmen aus dem Verkauf der Erdbeeren, weil er wußte, daß auch die Mutter den 10. Teil ihres Verdienstes in die Kirche gab. 10 M. Verdienst, wenn auch für das ganze Jahr Pflege, war demnach eine große Sache. Wir durften teilnehmen an ihrer Freude als sie 1 Mark für Gott in den Opferkasten legte.
Nach dem Tode des Vaters kam ich aus Frankfurt a. d. Oder nach Sagan um für die Mutter zu sorgen. Im Oktober 1894 hatte Bruder Hermann seine Militärdienstzeit beendet u. siedelten wir mit Mutter nach Forst i/L. über. Dort war sie bei Bruder Hermann, der sich verheiratete, bis zu ihrem Lebensabend. 1898 brach sie das linke Bein bei einem Fehltritt auf einer dunklen Treppe. Wohl heilte der Bruch sehr gut, so daß sie ohne Stock gehen konnte, doch stellte sich alsbald Altersschwäche ein. Immer müde, schlummerte sie am 15. Sept. 1900 friedlich ein, war sie doch mit allen Segnungen der Kirche schon früher versehen. Auf dem Friedhof zu Forst ist sie bestattet, ihr Grab von den Kindern treu gepflegt, wartet sie mit dem Vater u. allen Gläubigen auf die 1. Auferstehung bei dem Wiederkommen ihres Herrn u. Heilandes Jesu Christi, den sie von Herzen lieb hatte.
Vater Karl Maass geb. d. 30. März 1821 zu Charlottenburg.
Groß von Wuchs, schätzungsweise 1.85 m., war er noch im Alter recht vollkräftig an Körperfülle u. das beeinflußte wohl manchmal die Herztätigkeit. Aus einer Familie mit Landwirtschaft, vornehmlich Gartenbau, stammend, war er um das Jahr 1850 Friseur in Berlin. Später besaß er ein Leinenwarengeschäft in der Zimmerstr. Dann um 1870 Komissär im Hotel Dans la terre, später Kaiserhof, verpflegte ein Offizierskor in Frankreich im Kriege 1840.
1848 kam er mit dem Werk Gottes in Verbindung u. stieg mit anderen über die Barrikaden am Friedrichshain um die Zeugnispredigten der Evangelisten u. Boten Gottes zu hören. Mit vielen aufmerkenden u. die Wahrheit suchenden Christen erkannte er die Zeichen der Zeit u. die Nähe der Wiederkunft des Herrn u. wurde ein Glied der kathol. apostol. Gemeinde. Einer seiner Zeitgenossen, Hr. O. Kohl, Engel d. G. Berlin O, erzählte mir Folgendes: Herr C. Maass war in großer Verlegenheit in betreff der Sonntagsheiligung u. Schließung seines Geschäftes u. frägt den Apostel Charlyle: Was tue ich, ich bin Friseur u. muß am Sonntag barbieren? Der Apostel erwiederte: Wenn sie barbieren müssen, warum fragen? Das war eine klare Antwort. Wir denken an das Apostelwort Röm. 12, 11. "Diene dem Herren wie es der Zeitlage entspricht u. doch glühend im Geist." ([...]) Er wurde Priester u. diente in allen 4 Amtsklassen - Ältester - Prophet - Evangelist u. als Hirte in der Gemeinde Berlin.
Vater Maass hatte um das Jahr 1881 eine große Wohnung in der Breitenstr. Berlin. Hier heiratete er zum zweitenmal. Bis 1885 in Berlin, dann Vorsteher der Gemeinde in Freienwalde u. von 1892 an in Eberswalde. Hier trat er bald in den verdienten Ruhestand. Am 21. September 1899 verheiratete er seine Tochter Elfrieda aus zweiter Ehe, verzog bald nach Stolpe wo er am 16. August 1900 im Frieden Gottes entschlief, versehen mit den heil. Sakramenten. Auf dem Friedhof in Stolpe fand er seine Ruhestätte, wartend auf die Auferstehung am großen Tage des Herrn, dem Tage froher Herrlichkeit. Treu gearbeitet im Werke Gottes, geliebt u. geachtet von allen die ihn kannten, wird der treue Gott ihm den verheißenen Lohn nicht vorenthalten.
Auch Vater Maass mußte die Vergänglichkeit irdischer Güter
erfahren, Einen großen Teil seines Vermögens gab er in die Tuchfabrik
u. Spinnerei von Förster in Grünberg
i/Schl. Noch vor 1880 geriet die
Fabrik in Konkurs u. das Vermögen war verloren.
Der noch vorhandene kl.
Lederkoffer enthielt 65.000 M. in Obligationen mit Zinsscheinen auf jene
Fabrik. Ich verbrannte sie. Herr Förster lebte zuletzt in Berlin von der
Wohltätigkeit anderer. Wie töricht ist es, seine Hoffnung zu setzen auf den
unsicheren Reichtum. Wir wollen unsere Hoffnung bauen auf den lebendigen
Gott, der uns alles was Wir nötig haben, in reicher Fülle schenkt.
1. Tim. 6, 17
Mutter Johanna Maass geb. Kiesow, geb. am 25. Dez. 1856 zu Adlig Freist Kr. Wendisch Silkow Hint. Pmm. Ihr Vater war Förster u. Gärtner auf dem Gut u. wurde sie mit der Tochter der Gutsherrschaft als deren Jugendgespielin erzogen. Der Vater gehörte den Separatisten an. Das sind Leute denen das religiöse Leben der Evangel. Kirche nicht tief genug ist. Nach dem Tode des Vaters lebte sie mit Mutter u. Geschwistern in Stolpe u. Bütow. Hier lernte sie früh Gottes Werk kennen. Auf Empfehlung kam sie nach Berlin u. wurde, ca. 25 Jahr alt, die zweite Frau von Vater Maass. Aus dieser Ehe kamen 2 Töchter, Elfrieda geb. am 13.1.1883) u. Lydia geb. am 25. Aug. 1891. Es folgt die Zeit Freienwalde - Eberswalde.
Am 18. September 1900 kam Mutter Maass mittels Schiff nach Reval, Russl. zu ihrer Tochter Elfrieda, deren erste Niederkunft sie zwar nicht erreichte, doch zur Pflege uns sehr willkommen war. Schon am 29. Sept. meldete ein Telegramm das unerwartete Hinscheiden von Vater Maass. Der nächste Tag ein Sonntag war es, trotz Trinkgelder wie es in Russland üblich, nicht möglich einen Reisepaß zu erhalten. Doch wurde die Ausreiseerlaubnis telegraphisch an die Landesgrenze gegeben. Nach der Auflösung des Haushaltes in Stolpe, kehrte sie, mit der 10 jähr. Lydia, nach Reval zurück. Februar 1900 mit uns nach Riga, zog sie mit Lydia im August 1901 wieder nach Deutschl., besuchte meinen Bruder Hermann in Forst u. nahm in Stolpe u. Bütow Wohnung. Jung, gesund u. unternehmungslustig, fuhr sie im Herbst 1903 mit ihrer 73 Jahre alten Mutter, die auch sehr rüstig, u. Lydia zu ihren Brüdern Paul u. Robert nach Waukegan [etwa 65 km nördlich von Chicago] u. Horikon [gemeint ist Horicon, etwa 230 km nördlich] bei Chicago, blieb aber nicht dauernd bei ihnen sondern wohnte in Chicago, 20 Jahre. Als Priesterwitwe hatte sie eine Pension - 50 Dollar im Vierteljahr. Auch machte sie sich in bekannten Familien nützlich, hütete in deren Abwesenheit ihre Häuser. Mr. Pearl, Engel d. Gem. Chicago wollte sie auch bei sich haben, doch lag seine Wohnung zu weit von der Kirche, sie zog näher, nur 2 Stunden mit der Straßenbahn u. man fährt dort schneller als bei uns. In Folge eines Hitzschlages verfiel sie einem sehr schweren Nervenleiden das durch das unaufgeklärte Verschwinden ihrer Tochter Lydia seinen Höhepunkt erreichte. Durch Freunde wurde ihr die Reise zu ihren Kindern möglich. Hr. Dr. Orlowsky, der wiederholt zwischen ihr u. uns vermittelte - auch über Paris - überwachte ihre Reise. In der Kabine II. Cl. wurde sie verpflegt, durch eine Stewardess. Am 29. Mai 1923 landete sie mit der Washington - früher ein deutsches Schiff - in Bremerhafen [sic]. Sie wurde an Deck geführt, sie sah uns u. wir erkannten ihre Krankheit. Freude u. Schmerz verschmolzen ineinander. Nach stundenlangem Warten, bedingt durch die Erledigung der Pässe u. der 800 Passagiere, nahmen wir sie aus den Händen der Stewardeß die sie führte. Mutter glaubte, wir seien bei ihr in Chicago zu Besuch. Sie hat nie erfaßt wie sie nach Deutschland zurückgekommen, war aber hocherfreut bei ihren Kindern zu sein. Zu ihrem Schmerz konnte sie im Haushalt nicht helfen, hoffte aber immer es einmal zu können. Sie las beständig in der Bibel u. Liturgie deutsch u. englisch, die sie hütete als ihren größten Schatz. Zuletzt reichte auch dazu ihre Kraft nicht mehr u. doch nahm sie die Bibel in die Hände, meist ver[...], u. las u. las bis sie einschlief. Oft große Schmerzen leidend, ohne zu klagen, war ihr einziger Lichtblick ihr Glaube u. ihre Liebe zum Heiland, der sie sichtlich tröstete, u. die Gegenwart ihrer Tochter. Ständig mußte die liebe Kranke gehütet werden. Geistig abwesend sprach sie oft viel, ganz unverständlich, einmal Tag u. Nacht ununterbrochen - 36 Stunden. In ihrem letzten Lebensjahr mußte sie gepflegt werden wie ein Kind in Windeln. Dennoch war es uns ein Trost sie bei uns zu wissen u. ein Geringes von Dank abzutragen den wir ihr schuldeten u. dennoch blieb sie die Gebende durch die Kraft ihres Glaubens u. der Liebe in heiliger Fürbitte. Nicht selten traurig darüber, der Tochter in ihrem großen Haushalt nicht helfen zu können, suchte ich sie zu trösten, indem ich zu ihr sagte: "Mutter, du hast ein großes Werk zu tun." Ganz verwundert sieht sie mich an. "Nun du betest doch für deine Kinder, Enkel u. Urenkel." Sichtlich getröstet erwiderte sie: "Ja das tue ich Tag u. Nacht." "Das ist Heilandsarbeit, die in die Ewigkeit hineinreicht u. den Himmel aufschließt. Welch herrliches Werk ist doch das!" Sie war bei uns ein seltenes Beispiel von Geduld u. Dankbarkeit u. Hingabe an den Heiland. Das machte auch ihrer Tochter, die sonst oft recht schwere Pflege nicht zur Last. Wir wünschen u. bitten zu Gott, daß unsere Kinder, wenn es nötig sein sollte, uns in gleicher Liebe pflegen.
Die Schwäche nahm sichtlich zu. Mit allen Segnungen der Kirche war sie getröstet. In den Armen ihrer Tochter schlief sie friedlich ein am 26. Febr. 1929 nachmittags 4½ Uhr.
Sanitätsrat Dr. Henneberg sagte als er die Entschlafene sah "O wie friedlich, möge uns Gott allen ein solches Ende bescheren." Sie hatte ausgelitten. Ihr Angesicht war verjüngt u. verklärt. Ich habe nie ein schöneres in seiner Todesstunde gesehen. Pslm. 103 vereinigte uns in der Abendandacht um unserem Empfinden vor Gott Ausdruck zu geben. Eine Fülle von Frühlingsblumen u. Lichtern umgab ihre sterbliche Hülle in der Hauptkapelle des Westfriedhofes. Ich hielt die feierliche Bestattung. "Nur auf Gott vertrau still meine Seele. Er ist meine Hoffnung." Psalm 62, 6 war das gewählte Schriftwort.
Mit ihr ist ein selten arbeitsreiches u. opferfreudiges Leben einer treuen Mutter u. Diakonissin dahingegangen. Ihre Ruhestätte ist - Magdeburg - Westfriedhof - Abt. XV Nr. 2244. Sie ruht "In seliger Hoffnung".
Erinnerungen aus unserer Schul- und Jugendzeit
Meine Vaterstadt, Sagan a. Bober in Schles. hatte im Jahr 1895 12623 Einwohner, zur Zeit meiner Kindheit sicher weniger. Viel Tuch- u. Seidenindustrie, Präparandenanstalt u. Lehrerseminar, Gymnasium u. andere Schulen, Reitende Abteilung der Feldartillerie Regiment Nr. 5, Großes Schloß, von Wallenstein erbaut mit herrlichen Parkanlagen, das schöne Bobertal machten das Städtchen sehr beliebt u. zog viel Fremde an. Ein Zuchthaus für Frauen u. ein Rettungshaus für verwahrloste Kinder der Provinz Schlesien ließ so manche Studie machen.
Im Sommer wohnte der alte Herzog von Sagan u. Talleyrand mit der Herzogin u. dem Hofstaat auf dem Schloß. Zu dieser Zeit war das Schloß nicht zu besichtigen u. die sonst freie Bewegung im Park für Fremde eingeengt. Am Sonntag fuhr er, meist 4 Pferde vor dem Wagen, zum Hochamt. Sein grauer Zylinderhut erregte unsere Verwunderung. Unsere Grüße erwiederte er stets sehr freundlich, so nahmen wir jede Gelegenheit wahr ihn nahe zu sehen u. zu grüßen. Es machte uns Freude u. Mutter instruierte uns. Gelegentlich Feuerwerk im Park u. Garten, Jagd in Wald u. Feld fand auch meine Anerkennung. Auch das Aufblühen u. Schließen der Königin der Nacht mußte ich einmal sehen.
Die elterliche Wohnung lag Parchen. Diese Straße führt am 25-30 m. breiten Mühlgraben entlang, auf dessen anderer Seite ein prächtiger tiefer Wald, der die herzogliche Fasanerie barg. Viel Freude machte es wenn die schönen Fasanenhähnchen die Weibchen riefen u. auf den Bäumen zur Nachtruhe gingen. Bei Wolkenbrüchen u. Eisgang stand das Hochwasser wiederholt der Türschwelle gleich, es kam zum Glück nicht drüber, doch rückten wir zur Vorsicht wenigstens die Betten eine Treppe höher. Also am Wasser aufgewachsen war Angeln, Baden u. Rudern eine selbstverständliche Sache. Viermal dem Ertrinken ganz nah u. zweimal in großer Lebensgefahr beim Kahnfahren, verdanke ich mein Leben nur der Rettung durch Gottes Hand.
Die gute Mutter war dem Vater eine treue Gehilfin. Gelegentlich half sie in der Fabrik. Auch ging sie mit uns in den Wald, der 1-2 Stunden entfernt lag, um Pilze u. Beeren zu sammeln. Manchmal wurde auch eine Karre Holz geholt. Außer dem Förster trafen wir Rehe, Hasen, Füchse, Wiesel, Blindschleichen, Kreuzottern u. allerlei Raubvögel. Das alles weckte Freude an der herrlichen Natur.
Später hatte Mutter Heimarbeit wie sie in Schlesien recht üblich war. Wir mußten helfen u. Woll- u. Seidenlitzen machen, trotz allen Protestes, daß das Mädchenarbeit sei u. nicht Arbeit für kräftige Jungen. 36 Litzen war für mich Tagesleistung in der Ferienzeit u. dann war es fast dunkel, denn am Tag mußte ich doch manchmal nachsehen ob nicht ein Krebs unter einem Stein sitzt oder ein Fisch an die ausliegende Angel gegangen. Hatten wir nicht zu "knippen" so ging es an den Fluß, die Schanze u. Galgenberg, im Winter in den Park auf die Eisbahn. Oft war ich bei Vater in der Fabrik wo es allerlei zu sehen gab. Die kleine Dampfmaschine für den Dampfbadebetrieb mußte ich manchmal anlassen u. anderes mehr. Bei Tante Bürger im Garten war es immer gut sein.
Am 2. September 1881 als am Tage der Gefangennahme Napoleons 1870, durfte ich die Fahne der Stadtschule tragen beim Ausmarsch nach dem Festplatz. Diese Ehre kam nur den Ersten der ersten Klasse zu. Ich war aber Zweiter. Mein Freund Gustav Bullmann war mir im Schreiben u. Zeichnen über u. so gebührte ihm der erste Platz. Doch hatte er einen lahmen Arm u. konnte nicht turnen. So bekam ich die Fahne. Auch war ich rechter Flügelmann u. groß genug um gerade über den Turnlehrer, der freilich recht klein war, hinwegzusehen wenn er die Front ausrichtete. Der 2. September 1881 war der schönste u. stolzeste Tag meiner Schulzeit. 13 Jahr, fuhr ich das erste Mal auf der Eisenbahn Sagan-Forst zu Bruder Carl. Bei Onkel Heinrich in Christianstadt bei Naumburg a. Bober waren wir auch einmal mit den Eltern. Es war eine herrliche Wagenfahrt. Onkel hatte ein Gasthaus u. großen Garten. Die Pflaumen bekamen uns Knaben nicht. Wir hatten Wasser getrunken u. wären beinah elend gestorben. Durch unseren Leichtsinn hatten wir die Freude zuschanden gemacht.
Mit herzl. Dank gegen Gott u. Eltern muß ich bekennen, ich hatte eine schöne u. gut gehütete Kinderzeit, deren Segen Früchte der Ewigkeit trägt. Gläubige Eltern erzogen uns zur Gottesfurcht u. gaben uns Schätze, die nicht vergehen u. niemand rauben kann. Immer im Elternhaus u. den Eltern vertrauend, hatte ich keine besonderen Wünsche für einen Beruf. Nur gegen den Fabrikbetrieb, den ich doch etwas kannte, hatte ich eine ausgesprochene Abneigung. Vater Scholz, dem nur das harte Leben des Landmanns, Postillions u. Zimmermanns vor Augen stand, sich aber an langen Winterabenden in der Werkstatt befreundeter Schuhmacher erwärmte, manche hatten Haus u. Hof u. waren angesehene Bürger, wollte seine Söhne auch so gut geborgen wissen. Einige Mittel zur Gründung eines Geschäfts waren vorhanden. Mit 17 Jahr Geselle, fuhr ich, 18 Jahr alt, mit Felleisen u. Kalabreser nach Berlin mit der Absicht, den Kaiser u. die Residenz zu sehen, dann nach Hamburg u. den Rhein hinauf zu wandern... Es kam ganz anders. Ich blieb 2¾ Jahr in Berlin - Pfingsten 1886 - Februar 1889. Es fiel in diese Zeit der 90. Geburtstag Wilhelms I. u. das Dreikaiserjahr. Kaiser Wilhelm I., Friedrich u. Wilhelm II konnte ich sehen, Bismark [sic], Moltke, Roon u. a. Kaiser Alexander III (Russl.), König von Italien, fasst alle Herrscher Europas u. Vertreter fasst aller Nationen der Welt.
Von Berlin nach Prenzlau U. M., um Herrn Kretzschmar, der dort predigte, zu helfen. In Prenzlau konnte ich, ca. 21 Jahre alt, den 1. Vortrag halten vor 75 Personen. Ostern 1889 zum Gottesdienst nach Stettin, mit Herr Rurks (Engelevangl.) nach Schwedt a. d. Oder, dann folgten sieben Wochen im Krankenhaus in Prenzlau - Unterleibstyphus, vom Arzt aufgegeben, zu den Eltern nach Sagan. Herr Wilhelm Bimstein, Bez. Evgl. ließ mich nach Breslau kommen, schickte mich nach Brieg, um dort in der Stille zu evangelisieren. Von hier aus mußte ich zu Ulanen nach Ratibor - 1890-1893. Sagan - Stettin - Gleiwitz u. a. O., Oppeln, Frankfurt an der Oder. - Vater starb. Sagan - Forst. Am 15. Mai 1895 zum Priester ordiniert in Berlin N, im September vom Handwerk frei gemacht als Evangelist nach Sommerfeld-Gassen. Vorträge in Hotelsälen in Sprotten - Zülichau - Crossen an der Oder in der Kapelle u. in anderen Städten gewirkt. In Schweidnitz mit dem Hr. Baron von Richthofen, wie schon 1890 mit ihm in Brieg. Swinemünde - Insel Rügen - Stralsund - Berlin - Eberswalde, wiederholt Grünberg, bis ich Okt. 1898 in St. Petersburg landete u. am 21. Sept. 1899 in Eberswalde meine Hochzeit feierte. - Viel Freude, manches Leid, Gottes Hilfe über Bitten u. Verstehen erfahren, gebühret Ihm allein mein demütiger Dank. So war meine Kinder- u. Jugendzeit reich an vielen Erleben. Wenn Gott es geschehen läßt, gedenke ich noch ausführlicher zu erzählen in "Einiges aus meinen Leben".
Meine liebe Frau u. Stammmutter dieser Chronik hat eine recht kurze Jugend gehabt. In Berlin geboren verlebte sie ihre früheste Kinderzeit in Freienwalde u. erinnert sich eines lieben Mädchens gleichen Alters u. eines herrlichen Gartens. Von 1892 an in Eberswalde war sie in der Ferienzeit auch in Nieder-Finow bei Familie Tiede. Man gibt ihr Holzpantoffel u. nicht gewöhnt damit zu gehen, übertritt sie sich den linken Fuß u. erhielt einen Schaden für das ganze Leben. Der große nahe Wald war ihre Welt u. kräftigte Leib u. Seele. Eine liebe Freundin des Elternhauses hatte nicht geringen Einfluß auf ihre geistige Entwicklung. Stundenlang mußte Elfrieda der alten Dame vorlesen. Frau Gülzow war immer sehr dankbar.
Ein junges Mädchen ohne seine Handarbeiten war damals nicht zu denken. Der Spieler des Harmoniums zur Begleitung des Gottesdienstes war verzogen. Als Tochter des Vorstehers der Gemeinde u. 12 Jahr alt mußte Elfrieda Stunden nehmen u. füllte bald die Lücke aus. Im Sommer 1898 begleitete sie die Lieder bei meinen Vorträgen. Das hat ihr besondere Freude gemacht u. mir nicht weniger.
Im Vorgarten der befreundeten Nachbarsleute war ein Gummibaum umgebrochen. Der 13 jähr. Elfrieda tat dies sehr leid. In der Schule gelernt wie man solchen Schaden heilt, versucht sie mit einem Hölzchen u. Faden das Bäumchen aufzurichten. Sie wird dabei überrascht u. kommt dabei in den Verdacht das Bäumchen selbst umgebrochen zu haben. Darüber war sie sehr unglücklich, denn sie hatte es doch gut gemeint. Ihr gutes Gewissen war ihr einziger Trost u. durfte erfahren, daß es besser ist Unrecht leiden als Unrecht tun.
Oft weilte sie auch bei ihren Stiefbrüdern Hermann u. Albert Maass. Das war immer ein Fest für sie, denn auch die beiden Schwägerinnen waren sehr nett zu ihr.
Ein Kursus Damenschneiderei u. in der Pension machte sie für die Hausfrau tüchtig, die sie schon recht früh werden sollte. Am 21. Sept. 1899 war ihr Hochzeitstag.
Verlobung und Verheiratung
Vor- und Familienname: | Paul Augustin Ernst Scholz | ||
---|---|---|---|
Beruf: | Prediger | ||
Geburtstag: | 11. Juni 1868 | ||
Geburtsort: | Sagan i. Schles. | ||
Religion: | Katholisch-apostolisch | ||
Vor- und Familienname: | Elfrieda Johanna Maria Maass | ||
Geburtstag: | 13. Januar 1883 | ||
Geburtsort: | Berlin. | ||
Religion: | Katholisch-apostolisch | ||
Verlobung am | 18. Februar 1899 | in | Eberswalde + Riga Russland |
Standesamtliche Eheschließung am | 21. Sept. | in | Eberswalde |
Standesbeamter: | i. V. Lautenschläger | ||
Zeugen: | Vater Carl Maass, A. Kahlow | ||
Kirchliche Trauung am | 21. Sept. | in | Eberswalde |
Kirche: | Katholisch-apostol. | Pfarrer: | Albert Roller, Engel d. Gem. Berlin N. |
Zeugen: | Vater Carl Maass, A. Kahlow | ||
Hochzeitsspruch: | Regen u. Sonnenschein... |
Erinnerungen an unsere Hochzeit
Nicht selten hört man das Wort: "Ehen werden im Himmel geschlossen." Viele mögen dabei an eine unabwendbare Schicksalsfügung denken, an eine höhere Gewalt, der sich der Mensch fügen muß, auch gegen seinen Willen. Für den gläubigen Christen ist das Schicksal oder die höhere Macht der lebendige Gott, der zwei Menschen zusammen führt, nach Seiner Bestimmung, dem wahren Christen ist es eine Selbstverständlichkeit sein Leben mit allen Geschehen aus Gottes Hand zu nehmen u. in Gottes Hand zu legen u. sich von ihm leiten zu lassen, Er hält es mit dem 139. Psalm. "Wo soll ich hingehen vor deinem Geist? Wo soll ich hinfliegen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da. Bettete ich mir in die Hölle, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte u. bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch deine Hand daselbst führen u. deine Rechte mich halten. Von allen Seiten umgibst du mich u. hältst deine Hand über mir." "Du leitest mich nach deinen Rat." Psalm 73, 23.24. Ein echter Christ vertraut seinen Gott, den er Vater nennen darf. Er bringt seine Wünsche in kindlichem Gebet vor Gott u. stellt es ihm anheim, der alle Dinge ordnet u. leitet. Er führt auch Mann u. Frau zusammen, oft ganz wunderbar. So war es auch bei uns. Viel gereist u. manches Städtchen u. Mädchen gesehen, kam ich zu einer Evangelistenarbeit nach Eberswalde u. wohnte bei Vater Maass. Seine Tochter Elfrieda sah ich nur im Hause walten u. bei Tisch. Sie 15 ½, ich 30 Jahr, dachte ich, zumal bei meinem Reiseleben, gar nicht ans heiraten. Aber wir merkten beide, daß unsere Herzen einander entgegen schlugen. Nach gut 14 Tagen reiste ich wieder ab. Beim Abschiednehmen sprachen die Augen u. der Händedruck. Ich mußte nach Liegnitz u. erhielt dort Auftrag nach St. Petersburg. Zunächst flogen einige Kartengrüße hin u. her u. weiter, weiter - bis die Verlobung geschah. Mein liebes junges Bräutchen war ohne Bräutigam in Eberswalde u. ich ohne Braut in Riga u. dann wieder in St. Petersburg. Warum, für die Braut so früh, die Hochzeit? Meine russischen Vorgesetzten, Hr. Dr. Waldemar von Dittmann u. Hr. Staatsrat Carl v. Mickwitz, nötigten mich in Russland zu bleiben. Die fürsorgliche Mutter Maass wollte den Verlobten ihrer Tochter nicht allein in Russland wissen. Sie traute den russischen Damen nicht, die wirklich recht liebenswürdig sind, u. so ergab sich das einzig Richtige, zur Hochzeit zu rüsten. Nun, das hat Mutter Maass mit großer Umsicht u. Opferfreudigkeit getan. Einige Wochen vor der Hochzeit kam ich nach Eberswalde u. lernten wir uns nun erst eigentlich kennen. Mit Freuden sahen wir dem Hochzeitstage entgegen. Verwandte u. Freunde wurden eingeladen. Herr Roller, als Freund von Vater Maass, ließ es sich nicht nehmen die Trauung zu vollziehen. "Regen u. Sonnenschein" waren die ersten Worte seiner Ansprache, ganz dem Wetter angepaßt. Als wir zur Trauung fuhren hörte der Regen auf, während der Feier der Feier setzte er wieder ein um bei dem Nachhausefahren wieder dem herrlichsten Sonnenschein Raum zu geben. Ist es nicht auch so im Eheleben? Die Braut spielte früher das Harmonium, zur Trauung tat es unser Gast, Hermann Günther aus Forst. Die Gemeinde war recht zahlreich anwesend u. die ganze Trauung recht feierlich. Von lieben guten Freunden wurden uns viel Aufmerksamkeiten bereitet. Besonders sinnig war Folgendes. Als wir, nach der Trauung, den Wagen verließen u. ins Haus Brunnenstr. 19 treten wollten, flatterten uns von oben, an dünnen Fädchen gehalten, 2 Veilchensträußchen entgegen, duftende Grüße aus der Höhe. Das Hochzeitsmahl war nach allen Regeln der Kochkunst bereitet u. mundete vortrefflich. Ein von Vater Maass nach seinem Kennergeschmack gewählter Rheinwein ließ bald die fröhlichste Stimmung aufkommen, die das ganze Fest auszeichnete. Am anderen Vormittag Feier der heil. Eucharistie. Nachmittags Ausflug nach dem Wasserfall. Der Kuchen, von Mutter Maass gebacken, konnte sich nicht nur sehen, sondern auch mit Vergnügen essen lassen. Am dritten Tage rüsteten die auswärtigen Gäste zur Heimreise. Bruder Hermann u. Frau, Freund Günther u. Lehmann aus Forst fuhren über Berlin heim. Die andern waren aus Berlin. Wir aber fuhren zu Mutter Scholz nach Forst, die nicht hatte zur Hochzeit kommen können. Das gebrochene Bein ließ es nicht zu. Unser Besuch war eine große Freude für die liebe Mutter. Wir sollten sie in diesen Leben nicht mehr sehen.
Wieder in Eberswalde ging es nach Berlin die Reisepässe in Empfang zu nehmen. Dann nach Stettin u. weiter mit dem Schiff nach Reval, Russland. Dies war unsere Hochzeitsreise.
Kindermund
Edith. Weihnachten 1901 in Riga-Hagensberg, Tempelstraße 10, der Tannenbaum erstrahlt in Lichterglanz. Als das kleine Ding den Baum sieht. Ist die Verwunderung über die Pracht so groß, das es sich glatt zwischen Tür u. Angel zur Erde setzt. Ich mußte sie hochheben um die Tür zu schließen.
Einmal ruhe ich auf dem Sopha. Da kommt der kleine Puffel u. stellt sich still vor mich hin. Auf die Frage "Was möchtest du?", antwortet sie: "Lieb haben". Freilich nahm ich sie herauf u. sie hatte Vati lieb u. war zufrieden.
Carl. Wir fahren, wie immer, mit dem Dampfer über die Hagensberger Bucht, zur Stadt. Im unteren Schiffsraum hängt eine Lampe, gefüllt mit roten Petroleum. "Was ist das, Carli?" "Saft" antwortet er ohne sich zu besinnen u. doch sichtlich beleidigt darüber, daß wir wohl meinten, er wisse es nicht. Roten Fruchtsaft bekam er ja immer zu seiner Grießspeise.
Am heiligen Weihnachtsabend 1903 fahren wir mit Edith, Carl u. Hans zur Kirche. Vor der Tür des Kirchensaales will Carl nicht weiter gehen. Großes Geschrei. Alles Zureden hilft nichts. "Aber Carlchen, drin brennt doch ein Weihnachtsbaum." Großer Protest. "Ich will - keinen - Weihnachtsbaum sehen." U. die junge Mutter hatte es sich soviel Mühe kosten lassen u. sich so gefreut, mit den Kleinen am heiligen Abend in der Kirche zu sein. Ich mußte im Dienst bleiben, sie aber mit Lebensgefahr den Weg zurück machen. Eine liebe Frau half ihr über die belebte Straße. Für Erwachsene in zehn Minuten zum Dampfer - zwölf Minuten Fahrt u. nochmals 15 Minuten zu Fuß. Ein Hampelmann erinnerte ihn an sein Abendgebet: "Breit aus die Flügel beide..."
Hans, saß meist versteckt still in einem Winkel u. war unermüdlich im Betrachten von Bilderbüchern etc. u. später im Lesen. Er sprach wenig u. war immer stillvergnügt u. zufrieden. Über Schmerzen klagte er nie. Einmal hatte er ein sehr schlimmes Geschwür auf der Netzhaut, da er nichts sagte u. zur Schule ging, mußte ich erst fragen, ob es nicht weh tue.
Noch klein weinte er. Auf die Frage: Was fehlt dir denn? antwortete er: "Ich kann mich nicht setzen." Ursache? Er hatte zuviel gegessen, daher der Kummer.
Herbert war das Gegenteil, sehr lebhaft u. riß andere mit. Der Liebling des Kindergartenfräulein, die von ihm sagte: "Ja wenn wir den Herbert nicht hätten." 1906 mit Mutter in Eberswalde, war er einmal verschwunden. Die Sorge, ihn in der Küche aus einem tiefen Wasserloch zu ziehen - fand man ihn später, weit entfernt von der Wohnung, ganz vergnügt in der Nähe des Bahnhofes.
Gerda war ein kleines lustiges Ding u. spielte gern. Daß sie auch zur Schule gehen müsse, war ihr unverständlich. "Was soll ich in der Schule? Ich kann ja noch nichts." Am ersten Schultag klagte sie, trotz der großen Zuckertüte: "Vater hat mich gar nicht brauchen anmelden, er kann mich wieder ruhig abmelden." Nun, es ging dann über Erwarten gut. Sie spielte nicht nur gern mit Puppen, wie wohl alle Mädchen, sie versuchte auch früh sie selbst zu kleiden. Es zeigte sich ein ausgesprochenes Talent, das später in Damenschneiderei u. Musterzeichnen seine Auswirkung fand.
Vorbereitungen für den Beruf unserer Kinder
Aus christlich gläubigen Elternhäusern kommend, war es für uns selbstverständlich auch das Leben unserer Kinder in Gottes Hand zu legen u. in ihnen das Gottvertrauen zu wecken. Eine gewisse Selbständigkeit im Pflichtbewußtsein u. Selbstverantwortlichkeit müssen Hand in Hand gehen. Die Treue gegen Gott führt zur Treue gegen sich selbst, zur Treue gegen andere u. zur Treue im Beruf.
Aus eigenen Erfahrungen heraus war es mir sehr wichtig, für die Kinder einen Beruf zu wählen der ihrer Veranlagung entspricht u. ihnen die Möglichkeit bietet sich weiter zu entwickeln u. möglichst frei zu betätigen. Dazu ist es nötig, sich selbst fest in der Hand zu haben.
Edith besuchte die Handelsschule u. wurde Stenographin u. Stenotypistin, weil ihr dies besonders lag.
Carl lernte Maurer u. besuchte die Baugewerbeschule in Magdeburg.
Johannes wurde Kaufmann - Großhandel - Elektrotechnik etc.,
Herbert auch Kaufmann - Fahrradgroßhandel.
Gerda - Haushalt - Damenschneiderei, Zuschneiden u. Musterzeichnen.
Die Lehrzeiten fielen in die schweren wirtschaftlichen Kriegs- u. Nachkriegsjahre 1914-1924. Vorhandene Mittel zu einer weiteren Schulung waren verloren gegangen.
Die Kinder durften die Wahrheit der Worte erfahren: "Es ist dem Mann gut,
daß er das Joch in seiner Jugend trage." Aber auch: "Es ist ein köstlich Ding,
geduldig sein u. auf die Hilfe des Herrn hoffen."
Klagelieder Jeremiahs 3, 26.27.
"Ein treuer Mann wird viel gesegnet, wer aber eilt reich zu werden, wird nicht unschuldig bleiben." Spr. 28, 20. An Gottes Segen ist alles gelegen.
Unsere Geschwister und Verwandten
Von Vater August Scholz kannte ich zwei Schwestern, Frau Bürger u. Frau Kirchner, beide Witwen. Frau Bürger besaß ein kleines Häuschen u. Gemüsegarten in Sagan, Petersiliengasse. Für uns Knaben war dies ein Paradies. Ihr Geheimnis, immer den ersten u. zartesten Kopfsalat aus freiem Feld auf den Markt zu bringen war, eine recht stark duftende Tonne in einem versteckten Winke! des Gartens. Einige Monate vor ihrem Ableben besuchte ich sie im Hospital. Es war Mittagszeit, Wie ein Kind streckte sie den Zipfel des Deckbettes in den Mund u. klagte: "Man läßt mich verhungern." Nun, sie bekam eine Portion an der ein zwanzigjähriger genug hatte. Ja, bei solchem Appetit kann man auch 96 Jahre alt werden.
Frau Kirchner, verwit. Grund lebte zuletzt in Berlin Prinzenstraße 80 bei ihrem Schwiegersohn, Schneidermeister [Joseph] Dierschke u. brachte es auf 87 Jahre. Vom 13. Juni 1886 - Ende Januar 1889 wohnte ich in dieser Familie.
Ein Sohn aus erster Ehe - Grund, Drechslermeister Berlin, 23 gefallen, war im Anfang der achtziger Jahre mit Frau u. 2 Söhnen zu Besuch in Sagan bei meinen Eltern. An einem Wochentag nach Berlin zurück, gleich am Sonntag darauf Ausflug nach Steglitz mit der Schützengilde, Am Abend zur Bahn, ist noch die Schranke geschlossen, weil erst ein verspäteter D. Z. passieren sollte. Die lustigen Schützenbrüder durchbrechen die Schranke, sahen sie doch ihren Zug stehen. In dem selben Augenblick rast der D. Z. daher, der älteste, ca. 12 jähr. Sohn kann noch zurückspringen u. sieht wie Vater, Mutter, zwei jüngere Brüder u. viele andere niedergemäht werden. Erschütternd war es auch für uns. Ein dreijähr. Knabe war zu Haus gelassen worden.
Vater Scholz hatte aus erster Ehe eine Anzahl Kinder, die meist klein starben. Mein Stiefbruder Carl, war Spinnmeister in Forst i./L., hatte ein schönes Häuschen u. wurde über 80 Jahre alt. Ein Sohn von ihm ertrank freiwillig aus törichter Furcht vor einer Strafe - ca. 14 Jahr alt. Der 2. Sohn, Marco, ist zur Zeit (1929) Angestellter des Opernhauses in Berlin,
Stiefbruder Julius war Tuchmacher, ging in die Fremde, war 15 Jahr verschollen u. galt für tot, dabei war er ganz friedlich in dem nahen Sommerfeld. Pfingsten 1884 oder 85 tritt er plötzlich in unsere Wohnung u. steht dem Vater gegenüber. Ich war zugegen u. ist es mir unvergeßlich. Es war etwas wie St. Lucas 15, 11-. Er lebte weiter in Sommerfeld in der Familie Fuchs u. hat in ihr 4 Generationen erlebt, die auch ich kannte. Unverheiratet, in der kleinen Stadt von vielen gekannt u. geachtet, erreichte er das 84. Jahr. Stiefschwester Pauline - nach ihr heiße ich "Paul", blieb auch unverheiratet. Gesundheitlich etwas schwächlich, nur leichte Arbeit vermögend, wurde sie doch ca. 63 Jahre alt.
Mutter Theresia Scholz war, wenn ich nicht irre, aus erster Ehe ihres Vaters. Ich erinnere mich der Stiefmutter u. Tanten vom Land, die allerlei mitbrachten. Ein Kürbis, wie ein Faß groß u. 1 Ctr. wiegend, ist mir noch in Erinnerung.
Mein rechter Bruder Hermann, geb. am 23.1.70, lernte auch Schuhmacher. Von Oktober 1892-94 diente er beim Feld-Artill.-Reg. Nr. 5 in Sprottau. Oktober 1894 zogen wir mit Mutter nach Forst. Er heiratete Frl. Anna Murike. 2 Söhne, Walter u. Hermann sind Tuchkaufleute.
Bruder Hermann war 1914-1918 an der Westfront bei der Fliegenden Flugzeugabwehr-Abteilung, war er doch ausgebildeter Richtkanonier. Viel gelitten, konnte er sich nicht recht erholen u. am 15. Dez. 1927 bekam er bei der Arbeit einen Gehirnschlag u. verschied nach einigen Stunden, beinahe 58 Jahr alt. In der Gemeinde Siebendiakon führte er das Rechnungswesen. Wie er geachtet war bewies die Überfülle von Aufmerksamkeiten bei seiner Bestattung, zu der ich nach Forst gefahren war.
Vater Carl Maass hatte aus 1. Ehe auch eine Anzahl Kinder. Sie lebten zum Teil in Amerika. Hermann Maass führte als Rentier in Berlin ein gutes Haus das Mutter Scholz eine liebe Jugenderinnerung ist. In der katholisch-apostolischen Gemeinde war er konsakrierter Ältester. Ein Herzleiden führte zur Wassersucht u. 56 Jahre alt, ging er im Frieden Gottes heim. Kinder waren ihm nicht beschieden, doch geliebt u. geachtet von allen die ihn kannten. Im Sommer 1903 auf Besuch in Deutschland von Russland besuchten wir sein Grab in Berlin.
Albert Maass, Zahnarzt in Berlin hat einen Sohn aus zweiter Ehe [Albert Rudolf Karl Maass] u. gehörte einer Loge an.
Die andere Tochter von Vater Maass, aus zweiter Ehe, ist Lydia, geb. am 25.8.1891 in Altkietz bei Freienwalde i. d. M., dann mit den Eltern in Eberswalde. Nach dem Hinscheiden des Vaters kam sie mit Mutter Maass Okt. 1900 nach Reval in Russland, dann mit uns nach Riga, 1901 nach Deutschland zurück in Stolpe u. Bütow in Pommern. Herbst 1903 mit Mutter nach Chicago, dort später Stenotypistin, arbeitete einmal in einem Büro, 3 Stock unter der Erde, Monatsgehalt 60 Dollar = 252 M.. Sommer 1913 bei uns in Magdeburg, zurück nach New York - Philadelphia - Boston als Erzieherin u. bei Verwandten. Sie war ein großes hübsches Mädchen u. ganz Amerikanerin, Bei dem Wechsel ihrer Stelle kam sie auf dem neuen Platz nicht an u. gilt als verschollen. Ein tragisches Geschick muß sie ereilt haben. Alle Nachforschungen blieben ohne Erfolg. Doch auch sie steht in Gottes Hand.
Geburtstagskalender
- Januar
- 13./1883 Mutter E. Scholz
- 23./1870 Herm. Scholz
- 2./1905 Liesbeth Scholz
- Februar
- März
- 3./1811 Vater August Scholz
- 30./1821 Vater Carl Maass
- April
- Mai
- Juni
- 11./1868 Vater P. Scholz
- Juli
- 28./1827 Mutter Theresia Scholz
- August
- 3./1908 Gerda Scholz
- 15. Adelheid Scholz
- September
- 2./1904 Herbert Scholz
- 16./1900 Edith Scholz
- Oktober
- 19./1901 Carl Scholz
- November
- 11./1902 Johannes Scholz
- Dezember
- 25./1856 Mutter Johanna Scholz
- 1./1905 Waldemar Scholz †
Willkommen!
Viel liebe Gäste sind bei uns eingekehrt im Lauf der Jahre u. manches Band der Freundschaft ist geschlossen wurden u. hat fest gehalten. Unvergeßlich sind die Jahre 1899-1905 in Reval u. Riga, wird doch in Russland die Gastfreundschaft besonders hoch geachtet. Der Coadjutor der apostolischen Gemeinde, Dr. J. Capadose mit den Dienern des vierfachen Amtes beehrte uns mit seinen Besuch. Der russische Wein aus der Krim mundete ihm vortrefflich. Hr. Laps (Prophet) aus Königsberg, Hr. Staatsrat C. v. Mickwitz (Evangel.), Hr. V. v. Dittmann (Hirte) aus Riga u. St. Petersburg, wie der Engel der Gemeinde in St. Petersburg Hr. Dr. W. von Dittmann fühlten sich wohl in unserem immerhin bescheidenen Heim, u. mit ihnen viele andere. Familienfeste brachten viel liebe Freunde in unser Haus. So war es auch in Stargard in Pommern 1905-1912.
In Magdeburg fielen die Kriegsjahre 1914-1918. Mancher Feldgraue kehrte bei uns ein u. fand ein Ruheplätzchen für Leib u. Seele. Es kam die Zeit des großen Mangels. Da geschah es, daß, wenn ich nach dem Abendgottesdienst einen Feldgrauen mit ins Haus brachte, die Mutter schnell den Teller mit den Abendbroten vom Tisch nahm um sie in der Küche noch einmal zu teilen damit sie besser herumreichten. Sie waren schon nicht dick u. aus unbestimmbaren Material gebacken, aber sie reichten dann u. Gottes Segen ruhte darauf u. alle waren fröhlich u. vergaßen auf Stunden das furchtbare Leid des Krieges. Für die Kinder war es immer ein Fest.
Von unseren Gästen blieben drei im Feld. Ein besonders lieber junger Freund, Paul Dallmann, Bankbeamter aus Kattowitz (Oberschlesien), ging von uns viermal ins Feld an die Front, von den Kindern mit Blumen geschmückt, u. kam nicht wieder. Ein Volltreffer in einem Granattrichter beendete sein Leben u. das vieler seiner Kameraden. Sie starben den Heldentod fürs Vaterland u. - für uns daheim. Zu ihnen gehörte auch der Oberleutnant Paul Rusche aus Magdeburg.
"Die Bruderliebe dauert fort. Gastfreundschaft zu üben vergesset nicht;
denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt."
Ebr. 13, 1-2; 1. Mose 18 u. 19
Am Sonntag den 27. September 1930 gab uns der Geheime Regierungsrat Herr Professor Hermann Thiersch - Göttingen - die Ehre, zum bescheidenen Abendbrot unser Gast zu sein. Wir waren dann seine Gäste bei einer Gesangsaufführung des Magdeburger Domchors in der Johanneskirche. Viel Liebe u. Vertrauen durfte ich weiter von ihm entgegen nehmen, mit tief empfundenem Dank.
Unter anderen lieben Gästen war die Schwägerin Clara Schmidt verw. Maass mit ihrer Mutter; dann Frau Herrmann geb. v. Adams aus New York; auch Frl. Adele Wunsch - Berlin, früher St. Petersburg u. dort schon kennen gelernt wie auch schon die Frau Herrmann u. Frl. Lehnert aus Riga. Sommer 1933 besucht uns wieder Bruder u. Schwager Dr. Abert [sic] Maass mit Frau, diesmal auf drei Wochen. Herr Ernst Kauffmann, Engel der Gemd. Hannover, war oft unser Gast u. brachte viel Freude ins Haus.
Unser ältester Sohn, Carl, war ca. 4 Jahre in Süd-Amerika u. kehrte im Herbst 1933 nach Rendsburg zurück u. kam, mit seiner Frau, zum Osterfest 1934 nach Magdeburg, so auch Herbert mit seiner Frau. so daß wieder, nach langer Zeit, die ganze Familie zusammen sein konnte, im Elternhaus. Viel Freude erfüllte aller Herzen.
Reiseerinnerungen und Reisebekanntschaften
"Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt, dem will er seine Wunder weisen in Flur u. Wald u. Strom u. Feld." Hier sollen nur einige Hauptreisen erwähnt werden, die durch Dienst- u. Familienverhältnisse bedingt waren. Nach unserer Hochzeit besuchten wir Mutter Scholz i. Forst u. das Grab von Vater Scholz in Sagan. In Berlin Besuch bei Freunden u. einiger Sehenswürdigkeiten. In Eberswalde galt es Abschiednehmen, denn unsere Sachen waren schon in Stettin u. unser "Oberbürgermeister Haaken" lag bereit zur Fahrt nach St. Petersburg. Einen Tag wartete er auf besseres Wetter. Am ... fuhren wir ab. Das Stettiner Haff war leidlich ruhig, doch jenseits Swinemünde ging die Ostsee recht hoch. Als Passagiere 1. Kl. saßen wir mit dem Kapitain, einer russischen Dame u. einem deutschen Ingenieur zu Tisch. Wenn unser "Oberbürgermeister" sich allzu sehr auf die Seite legte, mußten wir nach den Weingläsern greifen um sie zu retten. Am 2. Tag hätte uns beinah die Seekrankheit gefaßt, doch der Sturm hatte Einsehen mit uns Landratten u. am 3. Tage landeten wir wohlbehalten in Reval. - Ein fremdes Land u. Volk, Russen u. Esten. Ein Mittagsmahl im "Trakteur", gebratenes Huhn, zum Entsetzen meiner jungen Frau mit reichlicher Zugabe von - Fliegen. Russisch?!
Wir weilten viel am Strand. Kriegs - u. Handelsschiffe boten viel Abwechslung. An der Bucht ein Denkmal - Engel mit Kreuz in der Hand, nach Osten gerichtet, das Kriegsschiff Nedalka = Nixe segnend, das mit der ganzen Besatzung untergegangen, an einer unbekannten Stelle. 2 Postkarten sind in der Sammlung.
Januar bis Ostern 1900 dienstlich in Libau, kam die junge Frau allein nach, ca. 24 Stunden Fahrt im fremden Land, Hr. Staatsrat v. Mickwitz empfing sie in Riga u. geleitete sie vom Dünaburger zum Turkumer Bahnhof. Ich konnte sie erst am Abend nach der Predigt am Bahnhof in Libau abholen. Handels- u. Kriegshafen, Festungswerke am Strand u. ein großer Binnensee boten viel Abwechslung.
Da ich Januar 1901 wieder dienstlich in Riga war, bereitete die junge Mutter Scholz der Mutter Maass den Umzug Reval - Riga. Mit Edith u. Lydia ca. 14 St. Bahnf. bei großer Kälte keine Kleinigkeit. Die Möbel wurden vom Güterbahnhof auf Schlitten 1½ St. auf der zugefrorenen Düna befördert u. kamen ganz vereist in der Wohnung, Tempelstr. 10 an. Der Weg zur Kirche war mit den Kindern auch wie eine kleine Reise. Zu Fuß - Dampfboot - zu Fuß im Winter mit Stoßschlitten oder zu Fuß über Bucht u. Düna. Im Sommer fuhren wir oft an den Strand, Bilderlingerhof, Majorenhof - Karlsbad - Assern.
September 1902 Dienstreise nach Reval, währenddem Einbruch in die Wohnung in Riga u. sehr großer Verlust an Kleider, Mäntel Wäsche etc. Wir hatten uns damit abgefunden in Russland zu bleiben, wollten aber gern die Heimat noch einmal sehen u. durch Einkauf den Einbruchsverlust ergänzen. Dazu kam die Einladung zur Hochzeit Liesbeth Buchholz - E. Neumann Berlin 7.5.03. Der Dampfer Sedina brachte uns nach Stettin - tüchtig Nebel u. daher 56 St. Fahrt. Eine Seefahrt bei Nebel ist gefahrvoller als bei Sturm. Der Lotse hatte uns vor Swinemünde zwei Stunden gesucht, wir hörten seine Signale, die Sirenen u. Nebelkanone am Strand, saßen hinter der Mole dicht an Land. Als der Lotse an Bord war, waren wir in zehn Minuten in der Hafeneinfahrt u. hatten herrliches Wetter. Die uns auf der Fahrt begegnenden Schiffe u. Fischerboote tauchten wie Gespensterschiffe aus dem Nebel auf u. verschwanden wieder. Auf der Hochzeit in Berlin trafen wir viele Freunde aus früherer Zeit.
Die 2½-jährige Edith ließen wir dann in Forst u. fuhren über Görlitz, Besuch bei meinem früheren Chef, Joh. Bührmund Bez. Evgl. Hirschberg ins Riesengebirge - Schneekoppe - Prinz-Heinrich-Baude zur Nacht. Über die Kuppe strich gerade eine dichte Wolke, so daß wir, ein paar Schritte getrennt, uns nicht sehen konnten. Die Wolke zog ins Tal, hüllte alles in Dunkel u. zerstob dann als Regen während wir im hellen Sonnenschein standen, der unsere Kleider schnell trocknete. Wir sahen Hirschberg u. die anderen Orte herrlich in den Bergen gebettet. Ein Fläschchen Wein u. kräftige [...] stärkten uns zur Weiterwanderung bis wir wieder in Hirschberg landeten. Weiter nach Görlitz - Dresden nach der herrlichen Sächsischen Schweiz. Am Fuße des Brand tötete ich eine Kreuzotter, deren es dort viele gibt. Zurück nach Forst - Berlin - Stolpe - Bütow, für 14 Tage - weiter nach Königsberg - Eydtkuhnen - Riga. Den kleinen Carl u. Hans, wie das ganze Haus, hatten wir nächst Gottes Schutz, der lieben Familie Krull u. unserer Lina überlassen u. trafen alles wohl an. 1905 russisch-japanischer Krieg, Revolution im Land, beschlossen wir nach Deutschland zurückzukehren. Am 15.7.05 gingen wir an Bord der "Sedina". Viele Freunde hielten beim Regen am Bollwerk aus. Hr. Krull, ein alter Kapitain, Hr. Jurikus, ein Fischhändler, Frau Breede, Frl. Küster, Paten der Kinder waren an Bord. Viel herzliche Grüße hin u. her - Auf Wiedersehen! Heftiger Sturm empfing uns auf offener See. Am anderen Morgen legte er sich u. mit ihm [...] auch die Seekrankheit, die uns alle gepackt hatte. Am 17.7. vormittags an Land in Stettin, wurden wir von E. Neumann u. Frau empfangen. Nachmittag nach Stargard i. P.. Gemeinsame Reisen nach Stettin, Mutter Scholz mit Edith u. Herbert nach Eberswalde zu Familie Bennert, nach Berlin zu Bruder Albert Maass. - Ich besuchte Verwandte u. Freunde in Berlin, Forst, Sagan - Nieder-Mednitz u. kam nach Görlitz - Zittau - Oybin - Schreiberhau.
Januar 1912 dienstlich in Berlin O - Herbst 1912 Übersiedelung nach Magdeburg. Auftrag für Mansfeld, verbunden mit Abstecher nach Erfurt u. Gotha, den alten Hr. Günter u. Sohn begrüßt. Gelegentlich nach Halle u. Leipzig - Völkerschlachtdenkmal. Mit Mutter u. Lydia nach dem Harz Sommer 1913. - Mutter Scholz nach Gernrode - Hannover zu Frau Gleich. Hermann 1922 nach Kassel.
Einer Einladung des Hr. Leps, Gutsbesitzer Wertlau, folgend, der auch die Kosten trug, dessen Sohn Willi Leps besucht in Weitersweiler i. Pfalz. - Jakobsweiler - Donnersberg im Hardtgebirge. In Kirchheim-Bolanden mit dem französischen Delegierten verhandelt wegen Reiseerlaubnis nach Saarbrücken, die ich durch Vermittlung des römischen Pfarrers in Weitersweiler erhielt. In Frankfurt a. M. begrüßte ich Hr. Gerds, E. d. G., Pate von Mutter Scholz. Kaiserslautern u. Saarbrücken hatten starke Besatzungskommandos, Husaren standen Posten.
Eine amtliche Tätigkeit führte mich 1924 nach Chemnitz, Marienberg, Freiberg, Annaberg, Auerbach u. viele Orte des Erzgebirges. Hr. E. Richter, Fabrikant, hatte mich zu Autofahrten eingeladen. Wir besuchten auch Dresden, Meissen, Mittweida etc. Auf einem kleinen Umweg - über Cassel u. Harz wieder heim nach Magdeburg.
Am 27. März gemeinsam nach Hannover - Bremerhafen [sic] um Mutter Maass am Schiff zu empfangen.
In Kassel waren wir wieder am 6.8.27, mit Gerda, zur Hochzeit uns. Carls. Im Jahre 1924 Versetzung beantragt, folgten Reisen nach Forst, Frankfurt, Berlin - Hamburg. Die Versetzung zerschlug sich wegen Wohnungsmangel.
Besondere Freude machte mir eine amtl. Tätigkeit in Hamburg im Mai 1928. Auch Lübeck u. ein Tag in Travemünde fällt in diese Zeit. Ich mußte doch die schöne Ostsee wieder einmal sehen.
September 1929 amtlich in Waldenburg, Reichenbach, Landeshut, Freiburg u. Schweidnitz. Auf der Reise Forst i. L. besucht u. besonders Sagan, die Geburtsstadt mit all den Jugenderlebnissen.
Februar u. März amtlich in Bremen u. einen Sonnt. in Leer, Ostfriesland. Mutter Scholz war 1931 in Cöln - Berlin -Eberswalde u. zur Hochzeit des Sohnes Herbert am 29. Dez. 1933 in Breslau. Auf der Rückreise war sie in Forst. Vom 8.-15. Sept. 1934 bei Herbert u. Anni in Dessau u. in Wörlitz bei Schwägerin Schmidt. Im Sommer 1935 - 19.7.-15.8. - waren wir in Lübeck bei Carl u. Heidi u. dann in Sierksdorf, Lübecker Bucht, Haus Kuhlmann. Bald darauf besuchte Mutter ihren altersschwachen Bruder in Berlin. Am 15.7.36 wieder in Lübeck bei den Kindern u. dann in Sierksdorf - bei Georg Staak. Auf der Heimreise in Berlin - Bruder Albert besucht. Berlin stand i. Zeich. Olymp. Spiele.
Fürsorge
Karlsruher Lebensversicherung. Versicherungsschein Nr. 192673 über M. 5000, auszahlbar 30. Oktober 1928. Aufwertung 1932. In der Inflationszeit des Weltkrieges 1914-1918 wertlos verfallen.
Feuerversicherung: A[...]en-Leipziger Versicherungs-Aktien-Gesellsch. [...] Schein Nr. 98682.
Gesundheitspflege und Heilwesen
Von kerndeutschen Eltern stammend, durften wir auch deren Gesundheit erben die höher zu schätzen ist als Geld u. Gut. Wir sind Freunde der herrlichen weiten Gottes-Welt. Da am Wasser aufgewachsen, Sagan a. Bober, war Baden, Schwimmen, Angeln u. Rudern eine Selbstverständlichkeit. Auch Radfahren erfrischte Leib u. Geist u. machte es möglich leicht viel Schönes zu sehen in der weiten Natur.
Mutter Scholz verlebte ihre Jugend in Freienwalde u. Eberswalde, Orte die von vielen besucht wurden um Erholung zu finden u. neue Kraft zu sammeln für das Berufsleben. Der schöne Wald war ihre Welt.
Frohe Ereignisse und Tage
Frohe Ereignisse u. Tage gab es viele in unserem Leben. Wer könnte sie alle aufzählen! Sie sind bedingt im Umgang mit lieben Menschen deren Vertrauen man erfahren darf. Weiter vertiefen sie sich im Familienleben im gegenseitigen Verstehen u. Tragen in Freud u. Leid. Ferner fallen sie uns zu in dem Wohlgeraten u. Wohlergehen der Kinder u. Kindeskinder. Geburtstage, Konfirmationen, Hochzeiten der Kinder, Silberhochzeit am 21. September 1929, Rettung aus Not u. Tod sind Denksteine der Hilfen Gottes, machen die Herzen froh u. lassen sie in Dank erheben zu Gott. Am tiefsten aber ist die Freude in der Gewißheit der Liebe Gottes, dem Eintauchen u. Aufgehen in Ihm. Dann gleicht das ganze Menschenleben einem saftig stehenden Ährenfelde u. wird zu einer reifen Garbe für die Ewigkeit. Ein solches Leben wirkt Segen wie die leuchtende Sonne u. die fließende Quelle. (Siehe Titelbild)
Am 3. August 1933, dem Geburtstag der Tochter Gerda, feierten wir Ihre Verlobung mit Paul Pfannenschmidt u. am 30. Juni 1934 war die standesamtliche Verbindung, der am Sonntag, d. 1. Juli die kirchl. Trauung folgte, die der Vater vollzog u. ihm viel Freude bereitete. Das junge Paar hatte als Trautext den 121. Pslm. gewählt. Das Festmahl wurde im historischen Bischofssaal des Ratskellers in Magdeburg eingenommen. Die weitere Feier war dann im Elternhaus.
Am Sonntag, den 16. August 1936 feierten wir im Hause u. Kreise der Lieben die Taufe des Kindes u. Sohnes Herbert, der mit ihm u. seiner Mutter von Dessau gekommen war.
Ernste Stunden
Auch das Leid hat an unsere Tür geklopft; u. ist eingetreten. Ernste Stunden wurden zu Tagen u. Wochen. Gefahren umgeben u. auf allen Wegen. Viele kommen uns nicht zum Bewußtsein. Das ist Gottes Vaterliebe. U. wenn uns nichts Arges geschieht, sollten wir um so mehr Gott danken, daß er uns vor der Angst bewahrt hat. "In wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet." Aus Todesnot vermag er zu retten. Ich muß daran denken, daß ich 3 mal nahe dem Ertrinken, zweimal mit einem besetzten Kahn den ich allein ruderte, beinah das Wehr hinunter gerissen wurde, weil das Wasser zu tief u. das Ruder zu kurz u. der Strom zu stark. Einmal sauste ein Beil (Axt) an meinem Gesicht vorbei u. hätte mich um ein Haar getroffen. 21 Jahre alt, sieben Wochen im Krankenhaus in Prenzlau i. d. u. M., an Unterleibstyphus, vom Arzt aufgegeben, wurde in Sagan die h. Eucharistie gefeiert, u. der [...] legte meiner Jahre zu mehr um so denn dem [...]. Im Jahr darauf als Ulan in Ratibor 2 mal mit Pferd gestürzt beim Sprung über die Mauer. Vom Pferd heftig gebissen u. einmal um ein Haar erschlagen. In Russl. 1905 mit Frau u. Kindern auf der Todesliste der Deutschenfeinde. 1922 starker Blutverlust, völlige Erschöpfung u. 23.7.25 Operation.
Schwere Geburten sind ernste Stunden besonders für die Mutter. Auch viel anderes Leid kam über sie. Dazu die Sorge um die Kinder u. die kranke Mutter u. Todesfälle machen das Herz im Schmerz überfließen. Sommer 1918 beim Baden in der Elbe in eine Tiefe geraten geschah die Rettung durch Gottes Hilfe.
"Von allen Seiten umgibst du mich u. hältst deine Hand über mir. Solche Erkenntnis ist mir zu hoch, ich kann sie nicht begreifen." Pslm. 139.
"Danket dem Herrn denn er ist freundlich u. seine Güte währet ewiglich."
Die Toten der Familie
- Vater: August Scholz geb. 3. März 1811; gest. 31. Jan. 1894 zu Sagan
- Mutter: Theresia Scholz geb. 30. Juli 1827; gest. 15. Sept. 1900 zu Forst i. L.
- Vater: Carl Maass geb. 30. März 1821; gest. 29. Sept. 1900 zu Stolpe i.P.
- Mutter: Johanna Maass geb.25. Dezemb. 1856; gest. 26. Febr. 1929 zu Magdeburg
- Söhnchen: Waldemar Scholz geb. 1. Dezemb. 1905; gest. 18. Jan. 1908 zu Stargard
- Enkel: Waldemar Eis geb. 25. August 1924; gest. Okt. 1924 zu Magdeburg
Verschiedenes
- Tochter Edith: Hochzeitstag 17. Aug. 1923, Waldemar Eis, Magdeburg.
- Sohn Carl: Hochzeitstag 6. Aug. 1927; Adelheid Rahm, Kassel.
- Sohn Johannes: Hochzeitstag 21. Dez. 1927; Liesbeth Naundorf, Magdeburg.
- Sohn Herbert: Hochzeitstag 29. Dez. 1933; Anni Post, Breslau.
- Tochter Gerda: Hochzeitstag 1. Juli 1934; Paul Pfannenschmidt, Magdeburg.