Der nachfolgende Aufsatz wurde von Gerhard Bleisch während seiner Schulzeit geschrieben.


Friedland den 25.11.1934

Hausaufsatz

Als Adolf Hitler und damit der Nationalsozialismus die Führung Deutschlands übernahm, wurden plötzlich alle Kirchenbüros mit Anfragen überschüttet. "Warum?" fragen wir uns. Jeder Deutsche musste und wollte seine arische Abstammung nachweisen. Adolf Hitler sagt: "Es soll kein Knabe oder Mädchen die Schule verlassen, ohne zur letzten Erkenntnis über die Notwendigkeit und das Wesen der Blutreinheit geführt zu sein."


Eduard Josef Ludwig Bleisch wurde am 27.1.1813 in Nimptsch geboren. Er war der Sohn des Pfefferküchlers Josef Bleisch und seiner Ehefrau Dorothea, geb. Günther, Tochter des Guts- und Mühlenbesitzers Günther aus Alt-Altmannsdorf Kreis Münsterberg.

Seine Jugend verbrachte der kleine Eduard im Elternhaus in Nimptsch. Später besuchte er das Magdalenen-Gymnasium in Breslau. Trotzdem der Vater wollte, dass der Sohn die Pfefferküchlerei übernehmen sollte, ermöglichte er es ihm, das Abitur zu machen. Als Primaner wurde Eduard ertappt, als er eine schwere Säbelpartie focht. Daraufhin musste er die Anstalt verlassen und kam nach Glatz auf das Gymnsasium. Dort wurde er natürlich ob seiner Taten sehr bewundert. In Glatz lernte er bald den etwas jüngeren Carl Stenzinger (s. Stammb. Nr. 10) Kennen, und die beiden wurden gute Freunde. Keiner aber ahnte, dass sich ihre Kinder einmal heiraten würden. In Glatz bestand Eduard Bleisch dann auch das Abiturium.

Gegen den Willen seines Vaters studierte Eduard Medizin. Da er von seinen Eltern keine Geldmittel bekam, sah er sich genötigt, selbst etwas zu verdienen. Er kam auf den Gedanken, Stunden zu geben, führte diesen Plan auch aus und gab unter anderem Klavierstunden, obwohl er vom Klavierspielen keine Ahnung hatte. In diesen Stunden lernte er


soviel, dass er später selber kleine niedliche Lieder komponierte. Das einzige, was er von seinen Eltern bekam, war, dass sie ihm jede Woche ein Brot schickten. Dieses Brot schnitten sie in der Mitte durch und bohrten in die Hälften ein Loch, in das sie Butter hineinsteckten.

Nachdem Eduard das Staatsexamen gemacht und sich den Doktortitel erworben hatte, liess er sich in Strehlen nieder. Dort lernte er die Jungfrau Emilie Pläschke (siehe Stammb. Nr. 9) kennen, mit der er sich am 6.3.1852 verheiratete. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor.

Dr. Eduard Bleisch war ein ausserordentlich tüchtiger Arzt. Er beschäftigte sich eifrig mit der Erforschung der Diatomeen; dabei entdeckte er einige neue, die nach ihm benannt wurden. Die Präparate schenkte er einer Mikroskopischen Fabrik, die ihm dann aus Dankbarkeit ein schönes Fernrohr überreichte.

Mein Urgrossvater liebte die Natur sehr. Er wanderte viel und sammelte auf seinen Spaziergängen Steine; so gelang es ihm, sich mit der Zeit eine immerhin ziemlich wertvolle Steinsammlung anzulegen, die jetzt noch fast vollständig erhalten ist.

Inzwischen war er zum Kreisphysikus in Strehlen ernannt worden.


Dort lebte zu dieser Zeit ein Schnapshändler; er war Jude und hiess Ehrlich. Dass er selber ehrlich war, sollte sich später noch zeigen. Dieser Schnapsjude hatte einen Sohn, der gegen den Willen der Eltern gerne Medizin studiert hätte. Meinem Urgrossvater, dem es ja ähnlich gegangen war, gelang es, die Eltern umzustimmen. Wie gut es war, Ehrlich studieren zu lassen, zeigte sich später; er erfand nämlich das in der ganzen Welt bekannte Salvarsan.

Der alte Ehrlich sagte auf dem Totenbett zu meinem Urgrossvater: "Eins will ich ihnen sagen, Herr Sanitätsrat, trauen Sie nie einem Juden!"

Einen ihm für seine Verdienste zugedachten Orden nahm mein Urgrossvater nicht an, weil er dergleichen Auszeichnungen nicht liebte. Schliesslich bekam er den Titel eines geheimen Sanitätsrates verliehen.

In Strehlen arbeitete ein junger Arzt, der durch seine besondere Grobheit auffiel. Einmal sprach der junge Arzt meinen Urgrossvater an: "Ach, Herr Kollege" - "Der Teufel ist Ihr Kollege!" unterbrach ihn letzterer ärgerlich.

Damals wurden die ersten Impfungen gemacht, und diese waren kostenlos. Die Lymphe wurde noch nicht von Tieren genommen, sondern man entnahm sie den schon aufgegangenen Pocken der schon Geimpften.


Auch mein Urgrossvater impfte damals schon; und dafür wurde ihm eine Impfmedaille "Für treue Mitarbeit am Impfwesen" verliehen.

1866 wurde der Sanitätsrat Dr. Bleisch zu einem Kranken namens Carl Scholz (s. Stb. Nr. 14) gerufen. Die Diagnose lautete auf Cholera, an der der Bäckermeister Scholz auch starb.

Als Eduard Bleisch im Jahre 1896 die Nachricht von dem plötzlichen Tode seines Sohnes Max Ferdinand (siehe Stb. Nr. 4) erhielt, ereilte ihn ein Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr ganz erholte. Vier Jahre lebte er noch, und am 6.8.1900 ging der Sechsundachtzigjährige in die Ewigkeit ein.

Zwei Kinder standen an der Bahre des Verewigten: seine Tochter Hedwig und der jüngste Sohn Kurt. Hedwig Bleisch war am 4.5.1853 geboren worden. Sie hatte nicht geheiratet und lebte zuletzt in Breslau mit der Frau ihres Bruders Max (s. Stb. Nr. 5). Hedwig starb am 23.6.1925.

Kurt Bleisch wurde am 14.5.1864 geboren. Der hatte Chemie studiert und den Dr. phil. gemacht, obwohl er nur bis Obersekunda einschliesslich die Schule besucht hatte. Er arbeitete dann praktisch an einer Brauerei in Belgien; dort schrieb er einige wissenschaftliche Arbeiten über Brauchemie. Daraufhin holte man ihn nach München zurück, und er leitete dort ein Bierbrau-Überwachungsinstitut.


Einmal wurde Kurt Bleisch in das Ministerium befohlen, und man trug ihm an, doch das Abitur nachzumachen, um eine Professorstelle bekleiden zu können. 1904 machte der Vierzigjährige wirklich das Abitur nach und wurde daraufhin ordentlicher Professor an der Hochschule Freising-Weihenstephan bei München. Kurz vor dem Kriege am 18.4.1914 starb Kurt.

Der erste Sohn des Eduard Bleisch, Max Ferdinand (siehe Stb. Nr. 4) wurde am 10.2.1856 in Strehlen geboren. Seine Jugend verlebte er in Strehlen und besuchte dann das Magdalenen-Gymnasium in Breslau. Der Junge hatte von Anfang an grosse Lust, Medizin zu studieren, und die Eltern verwehrten es ihm nicht. So blieb er denn in Breslau und lernte dort seine Frau kennen. Es war die Tochter des Apothekers Carl Stenzinger (siehe Stb. Nr. 10).

Max Bleisch hatte sehr zeitig sein Staatsexamen gemacht und liess sich nun neben seinem Vater in Strehlen nieder. Dort konnte er natürlich keine Lorbeeren ernten; denn "der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande." Dabei entstand ein sehr niedlicher Witz: "Was ist das ungezogenste Ding in Strehlen?" - "Die Nachtglocke des Dr. Max Bleisch." Bald verlegte er seine Praxis nach Oppeln. Inzwischen hatte er am 16.2.1882 geheiratet, und in Oppeln wurde ihm sein erster Sohn, Max Carl Eduard geboren. Er legte sein Kreisarztexamen ab und verliess bald darauf Oppeln, um eine Kreisarztstelle in Cosel O/S anzunehmen. 1886 wurde Hans und 1885 Kurt Bleisch geboren. Beide aber wurden nur 4 Jahre alt; sie starben an Scharlach.


Mein Grossvater arbeitete sehr viel auf noch wenig erforschten Gebieten. Er hatte in Cosel auf dem Boden ein Laboratorium, und dort machte er die verschiedensten Versuche. Er hatte immer eine Anzahl Meerschweinchen dort oben, an denen er Impf- und Fütterungsexperimente machte.

Von einem Freunde bekam er öfters einen Korb Heringe geschenkt, auf die er dann Leuchtbazillen impfte.

Als er einmal von der Visite heimkam, hatte ihm seine Frau Fisch zum Mittagessen gemacht. Auf seinem Schreibtisch fand er dann einen Brief vor, in dem sich sein Freund erkundigte, ob die Heringe gut angekommen seien. Als er seine Frau nach den Fischen fragte, musste er zu seinem Erstaunen hören, dass er die schönen Heringe zu Mittag verspeist hatte.

Drei Kinder wurden meinem Grossvater noch geboren. Franz Bleisch, der zur Zeit in Schweidnitz Studienrat ist, Hedwig und Käthe Bleisch, die jetzt verheiratet in Breslau leben.

Der Kreis Cosel war sehr gross. Nun musste mein Grossvater manchmal weit über Land fahren. Er hielt sich zu diesem Zweck zwei Kutscher; der eine fuhr ihn vormittags und der andere nachmittags. Später versuchte er es zeitweise mit dem Fahrrad. Er hat die Entstehung und die Fortschritte des Fahrrades ganz mitgemacht. Einmal äusserte er, als er von einer Fahrt heimkam: "Man flitzt nur so über die Strassen!"


Am 11.3.1896 erlag der erst vierzigjährige Kreisphysikus Dr. med. Max Ferdinand Bleisch einem plötzlichen Schlaganfall.

Vier unversorgte Kinder liess er seiner Frau zurück. Der älteste Sohn Max war erst dreizehn Jahre alt. Frau Clara Bleisch zog mit ihren Kindern nach Strehlen zu ihrem Schwiegervater zurück.

Max Bleisch, mein Vater (siehe Stb. Nr. 3) besuchte das Gymnasium zu Strehlen. Nachdem er das Abitur gemacht hatte, studierte er in Breslau Medizin. Es war also durch drei Generationen hindurch immer der älteste Sohn Mediziner geworden. Nachdem Max das Staatsexamen gemacht hatte, liess er sich in Naumburg a/Queiss nieder; aber schon ein Jahr später verlegte er seine Praxis nach Friedland Bez. Breslau.

In Strehlen lernte er seine Frau, Gertrud geborene Pusch, kennen. Am 22.5.1912 heirateten meine Eltern in Strehlen. 1913 wurde meine Schwester Gertrud, und am 8.5.1914 mein Bruder Max geboren.

Mein Vater hatte bei dem Elften Grenadier-Regiment als Einjähriger gedient und war Oberarzt der Reserve. Als 1914 der Krieg ausbrach, zog auch mein Vater in das Feld, um die Grenzen des Vaterlandes zu verteidigen. Er kehrte aber schon im Frühjahr 1916 zurück, da in Friedland kein Arzt mehr war.

Am 3.6.1918 wurde ich, Gerhard Bleisch, geboren. Zu der Zeit hatten meine Geschwister Keuchhusten; sie wurden deshalb nach Strehlen zu den


Eltern meiner Mutter (siehe Stb. Nr. 6 u. Nr. 7) geschickt.

Meine Mutter wurde am 10.10.1885 geboren. Sie besuchte in Strehlen die höhere Töchterschule und kam dann nach Breslau in das Knittel'sche Lehrerseminar. Nachdem sie Lehrerinnenexamen gemacht hatte, war sie mehrere Jahre Hauslehrerin, zuletzt bei der Familie Paul Bartsch in Berthelsdorf bei Hirschberg. Von dort aus heiratete sie und kam damit nach Friedland.

Mein Grossvater Robert Pusch (siehe Stb. Nr. 6) wurde am 27.8.1858 in Strehlen geboren. Er war der Sohn des Bahn-Telegrafisten Josef Pusch (siehe Stb. Nr. 12) und seiner Ehefrau Louise Pusch geborene Milde (siehe Stb. Nr. 13).

Nachdem er die evangelische Volksschule in Strehlen besucht hatte, wurde er als Lehrling im Büro der Niklasdorfer Steinbrüche eingestellt. Dort blieb er bis zu seiner Militärzeit. Er diente dann in Breslau bei den Einundfünfzigern und kam später in das Lehrbatallion nach Potsdam. Eigentlich wollte er ganz beim Militär bleiben; nach einigen Jahren ging er aber wieder in das Büro der Niklasdorfer Steinbrüche zurück.

Am 18.11.1884 heiratete Robert Pusch die Tochter Martha, (siehe Stb. Nr. 7) des Bäckermeisters Carl Scholz (siehe Stb. Nr. 14) (der dann an Cholera gestorben ist) und seiner Ehefrau Berta Scholz geb. Abendroth, der Tochter eines Schmiedemeisters (siehe Stb. Nr. 15).


Nach unserem Stammbaum sind unter meinen Vorfahren alle Stände: Bauern, Handwerker, Kaufleute, Beamte und Gelehrte vertreten gewesen.

Möchte das, was in meinen Vorfahren an Klugheit und Ausdauer vorhanden war, sich in uns und unseren Nachkommen weiterentwickeln, sodass sich die Vergangenen ihrer Enkel nicht zu schämen brauchen! Unsere Generation hat nichts weiter zu tun, als an ihrem Teile fleissig auf dem vorhandenen Grunde weiterzubauen.

"Was du ererbt von deinen Vätern,
erwirb es, um es zu besitzen!"

Gerhard Bleisch UII
Friedland, d. 26.11.1934

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