Quelle

Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten

herausgegeben von Dr. R. Koch (Geh. Medicinalrath und Director des Institutes für Infections-Krankheiten zu Berlin), und Dr. C. Flügge (O. Ö. Professor und Director des Hygienischen Institutes der Universität Breslau),

Dreizehnter Band.

Mit zahlreichen Abbildungen im Text und elf Tafeln.

Leipzig, Verlag von Veit & Comp. 1693.


Ueber bittere Milch und die Sterilisirung der Milch durch Erhitzen unter Luftabschluss

Von Dr. Max Bleisch,

Königl. Kreis-Physikus, Cosel O./Schl.

Durch die Liebenswürdigkeit des Leiters einer Anstalt zur Herstellung keimfreier Dauermilch mittels des Neuhanss-Gronwald-Oehlmann'-schen Verfahrens gelangte ich im August 1891 in den Besitz von zwölf Flaschen Dauermilch, von denen sechs nach der Sterilisation unverändert geblieben waren, die übrigen sechs dagegen einen in eigenthümlicher Weise veränderten Inhalt zeigten. Optisch gab sich die Veränderung durch ein abnorm transparentes Aussehen und leicht gelbliche Färbung der Milch zu erkennen; im Uebrigen wies sie einen intensiv bitteren Geschmack auf. Die optischen Veränderungen der Milch waren so charakteristische, dass man im Stande war, ihren bitteren Geschmack ohne Eröffnung der Flaschen schon aus dem Aussehen allein mit Sicherheit zu diagnosticiren. Der Inhalt der mir übergebenen Flaschen stammte, wie ich gleich hinzufüge, aus den verschiedensten Quellen, und war zu verschiedener Zeit dem Sterilisationsverfahren in der Molkerei unterworfen worden. Besonders häufig war das Bitterwerden, welches immer nur vereinzelte Flaschen verschiedener Serien betraf, beobachtet worden, wenn der Betrieb in der Anstalt ein besonders reger war.

Der Umstand, dass die geschilderten Veränderungen zu ihrer Ausbildung immer mehrerer Wochen bedurft hatten, liess mich von vornherein an der Wahrscheinlichkeit der von dem Leiter der Anstalt gemachten Annahme zweifeln, dass der Grund des Uebels in der Verwendung gewisser Chemikalien bei der Reinigung der Flaschen zu suchen sei. Ich vermuthete vielmehr sogleich in den geschilderten Zersetzungen die Lebensäusserungen irgend einer Bakterie, die aus irgend einem Grunde das angewandte Sterilisationsverfahren überstanden hatte.

Eine genaue Schilderung der im übrigen einfachen und nur kurze Zeit beanspruchenden Versuche, welche die Isolirung der von mir vermutheten Bakterie zum Ziele hatten. glaube ich im Interesse der Kürze um so eher übergehen zu dürfen, als das dabei von mir beobachtete Verfahren in keiner Weise von dem üblichen und allgemein bekannten abwich. Nur soviel will ich anführen. daß von den mir übersandten Flaschen elf [1], und zwar jede einzelne in der gleichen Weise, auf ihren Bakteriengehalt mittels des Mikroskops und des Koch'schen Plattenverfahrens einerseits, auf die physikalische und chemische Beschaffenheit (letzteres, soweit es mir meine Hülfsmittel gestatteten) andererseits, genau geprüft wurde.

Das Ergebniss dieser Untersuchungen und der im Anschluss daran vorgenommenen Uebertragungsversuche war die Isolirung einer bestimmt charakterisirten Bakterienart, welche in sämmtlichen fünf, bittere Milch enthaltenden Flaschen, aber auch. nur in diesen, hier aber fast in Reincultur angetroffen wurde, deren Uebertragung ferner auf sterilisirte Milch selbst in minimalsten Mengen, ausnahmslos von entsprechenden Veränderungen der letzteren gefolgt war (vorausgesetzt, dass der Uebertragung nicht eine abermalige Sterilisirung nachgeschickt wurde) und welche diese Eigenschaft beibehielt, nach dem sie auf den verschiedensten Nährboden durch viele Generationen hindurch fortgezüchtet worden war.

Somit waren die bekannten Koch'schen Forderungen erfüllt und erwiesen, dass die von mir isolirte Bakterienart in der That in dem vorliegenden Falle als der Erreger der fraglichen Veränderungen anzusehen war.

Wie ich aus der mir unterdess zugänglich gewordenen Litteratur ersah, bestätigte sich die von mir anfänglich gehegte Vermuthung. eine gänzlich neue Thatsache gefunden zu haben, keineswegs.

Zuerst haben, wie Hüppe [2] angiebt, Nägeli und Löw darauf aufmerksam gemacht, dass scheinbar sicher sterilisirte Milch nach längerer Zeit einen bitteren Geschmack annehmen könne, und das Auftreten des bitteren Geschmacks auf Lebensäusserungen von Bakterien und zwar von Milchsäurebakterien zurückgeführt, die durch den Einfluss der Hitze derart modificirt seien, dass sie "nunmehr, statt Säure zu bilden, das Caseïn peptonisiren und den bitteren Geschmack hervorrufen." Die Richtigkeit der letzteren Ansicht, welche seiner Zeit in der obigen Thatsache einen grundlegenden Beweis für die Mutabilitat der Bakterien nach Form und Wirkung erblickte, widerlegte Hüppe [3] in überzeugender Weise dadurch, dass er nachwies, "dass es sich hierbei nicht um eine Umwandlung der Natur der Milchsäurebacillen handele, sondern dass in solcher Milch von vornherein Dauerformen anderer Bakterien vorhanden seien, welche der Hitze leicht widerstehen, deshalb später in solcher scheinbar sicher conservirten Milch auskeimen und dieselbe in obiger Weise specifisch zersetzen." Dieser Nachweis gelang ihm dadurch, dass er als erster eine mit dieser Eigenschaft ausgestattete, von ihm Bacillus butyricus benannte, aerobe Bakterie isolirte. Dabei hatte er ermittelt, "dass die Milch in derartigen Fällen nicht nur peptonisirt und bitter, sondern dass sie ausserdem alkalisch wurde". Hinzugefügt sei, dass dieser Hüppe'sche Bacillus butyricus mit dem von Pasteur, Tietz, van Tiegham und Prazmowski gefundenen, bezw. genauer untersuchten anaeroben Clostridium butyricum nach Fränkel [4] und Flügge [5] nicht identisch ist.

Später fanden Hüppe [6] und Löffler [6], dass auch andere Bakterien und besonders die Kartoffelbacillen ganz ähnlich wirken. Nach Löffler [6] sind die Kartoffelbacillen für die fraglichen Veränderungen mehr verantwortlich zu machen, als die Buttersäurebacillen; nach Hüppe [6] gehören die in Milch und besonders bei der Conservirung derselben beobachteten, hierher gehörigen Organismen ausnahmslos der Sammelspecies der Buttersäure-, Heu- und Kartoffelbacillen (Bac. mesentericus, Bac. liodermos [varietas Bac. butyricus] Bac. subtilis) an.

Soweit es sich dabei um Beobachtungen handelt, die an conservirter Milch gemacht wurden, dürfte dieser Hüppe'sche Satz richtig sein, da gerade die von ihm genannten Species die Eigenthümlichkeit vor allen anderen besitzen, gegen Hitze besonders widerstandsfähige Dauerformen zu bilden.

Auch die in neuerer Zeit von Krüger [7] und von Weigmann [8] isolirten, mit gleicher Eigenschaft behafteten beiden Bakterienarten dürften den gleichen Species angehören. Im Uebrigen hat Conn [9] in neuester Zeit einen Miorococcus gefunden, der Milch ebenfalls bitter macht. Das Auftreten des bitteren Geschmackes wird von Hüppe, Krüger, Conn [9] und wohl auch von Weigmann [9] durch eine tiefgehende Zersetzung der Albuminate erklärt und speciell Hüppe [9] ist, "ohne a priori zu bestreiten, dass es Bakterien gäbe, die andere und besondere Bitterstoffe entstehen machten", der Ansicht, dass das gebildete Pepton selbst der Bitterstoff sei, da "in allen Fällen, in denen man bisher in Milch bitteren Geschmack sich entwickeln sah, als veranlassendes Moment Bakterienarten gefunden wurden, welche die Milch-Eiweisskörper zersetzen und lösen; entstehe dabei echtes Pepton, so entstehe auch zwingend bitterer Geschmack, da reines Pepton auch in verdünnten Lösungen widerlich bitter schmecke"; es sei dabei sehr gleichgültig ob, wie Conn, Krüger, Hüppe und Löffler [10] dies constatirt haben, diese Arten auch Buttersäure bilden können, oder, wie die Weigmann'sche Bakterie, nicht.

Auch die von mir gefundene Bakterie gehört zweifellos der von Hüppe bezeichneten Sammelspecies an, wie sich aus ihren im Folgenden zu schildernden morphologischen und biologischen Eigenschaften ergiebt:

Bei der ersten mikroskopischen Untersuchung der aus der Molkerei stammenden bitteren Milch stellte sie sich als ein sich nicht bewegendes, grosses, plumpes und mit abgerundeten Enden versehenes Stäbchen dar, welches sowohl die gewöhnlichen Anilinfarben, als auch die Gram'sche Färbung ohne weiteres annahm. Die Länge, nicht aber auch die Breite, des Stäbchens wechselte unter sonst gleichen Bedingungen nicht unbedeutend, je nachdem die Aussentemperatur der Proliferation günstig war oder nicht. Bei kühler Aussentemperatur entstanden lange, breite Stäbchen ohne eigentliche Bildung von Fäden neben plumpen unregelmässig geformten und granulirten Involutionsformen, bei höherer und besonders bei Brüttemperatur bei weitem kürzere Stäbchen, die bisweilen die Neigung zeigten, in kurzgliederigen Ketten von zwei, vier oder sechs Gliedern verbunden zu bleiben. Eine Neigung zur Fädenbildung wurde nur in alten Fleischpeptongelatine-, alten Fleisohpeptonagar- und in Blutserumculturen, hier, auch wenn sie verhältnismässig jung waren, beobachtet. Immer machte diese Fädenbildung mehr oder weniger den Eindruck einer Involution, besonders war sie nie von einer Sporeabildung gefolgt. Alten Culturen entstammende Bacillen waren ebenso, wie solche, die sich zur Sporenbildung anschickten, unbeweglich; im Uebrigen zeigten sie im hängenden Tropfen lebhafte Bewegungen, die sich aus wurmartig bohrenden und leicht zitternden Excursionen des Bacillenkörpers zusammensetzten. Nach langem vergeblichen Mühen gelang es mir, auch die diese Bewegungen vermittelnden Geisseln nach dem von Löffler angegebenen Verfahren zu färben. Die besten derartigen Präparate erhielt ich aus Agarculturen, die ca. 18 Stunden bei hoher Zimmertemperatur gehalten worden waren. Ich verfuhr dabei in der Weise, dass ich das der Cultur entnommene Material nach einander in zwei bis drei Tropfen destillirten Wassers übertrug, von dem letzten dieser Tropfen eine dünne Schicht vorsichtig auf ein Deckgläschen aufstrich, dieses vollkommen lufttrocken werden liess, alsdann auf das Deckgläschen ohne vorheriges Erhitzen alkalische Löffler'sche Beize (100 grm 20proc. Tanninlösung, 50 grm Campecheholzdecoit [1:8], 10 Tropfen 1 proc. Natronlauge) gab, über der Flamme bis zum Sieden der Beize erhitzte, abspülte, die Ränder sorgfältig reinigte, und nunmehr alkalische Carbolfuchsinlösung (wenige Tropfen 1 proc. Natronlauge in Ziehl‘sche Lösung bis zum Auftreten einer Trübung gegeben) auftropfte und wiederum bis zum Sieden erhitzte. Die hierauf abgespülten, getrockneten Präparate zeigten, in Cedernöl oder in Xylol-Canadabalsam eingelegt, fast alle Bacillen an den seitlichen Rändern mit ganzen Büscheln langer, welliger Locken von zartrosa Farbe besetzt.

Die beginnende Sporenbildung, die übrigens bei Brüttemperatur auf allen Nährböden, mit Ausnahme von Blutserum und Milch, leicht erfolgte, gab sich dadurch zu erkennen, dass innerhalb der dabei kurz bleibenden Bacillen mittelständig kleine, hellglänzende Körperchen auftraten, die sich unter allmählicher Annahme ovaler Form und schwacher spindelförmiger Auftreibung des Bacillus derart vergrösserten, dass sie schliesslich zwei Drittel des ganzen Zellenleibes in der Mitte desselben erfüllten. Die später nach Schwund des Zellenleibes frei gewordenen Sporen nahmen noch später unter günstigen Verhältnissen eine längliche, leicht sichelförmig gebogene Gestalt an; die Auskeimung weiter zu verfolgen, ist mir indes nicht gelungen. So lange die Sporen sich noch innerhalb der Bacillen befanden, bereitete ihre isolirte Färbung ziemliche Schwierigkeiten; es gehörte dazu eine mindestens zweistündige Einwirkung fast kochender Ehrlich'scher oder Ziehl'scher Fuchsinlösung, und auch dann noch erschien die Färbung oft, besonders bei Anwendung Ehrlich'scher Lösung, wenig intensiv. An einigen der innerhalb der Bacillen liegenden Sporen konnte man bei Anwendung entsprechender Doppelfärbung eine verhältnissmässig dicke, glänzende, ungefärbte Hülle bemerken. Sehr viel leichter und intensiver gelang die isolirte Färbung der freien Sporen; in wenigen Minuten war sie beendet, wenn man die armirten Deckgläschen vor der Färbung mit Ziehl'scher Lösung nach Möllers [11] Angabe auf zwei Minuten in 5 proc. Chromsäurelösung macerirte. Besonders in Präparaten, welche älteren sporenhaltigen Culturen entstammten, bemerkte man zwischen den freien Sporen kleine Körperchen von ähnlicher, aber etwas gestreckterer Form, welche ohne weiteres die Gegenfärbung angenommen hatten. Auffallend war ferner eine häufig in feuchten und Trockenpräparaten beobachtete geldrollenartige Aneinanderreihung der einzelnen Sporen.

In Bezug auf Temperaturen, Zutritt der Luft und Art der Nährboden erwies sich die Bakterie als wenig wählerisch.

Das Temperaturminimum für ihr Wachsthum schien mir bei ca. 14°, das Maximum bei etwas über 40°, das Optimum bei ca. 34° C. zu liegen. Die Sporenbildung war unter sonst gleichen Verhältnissen am raschesten bei 34° C. beendet, oft schon nach 24 Stunden, doch trat sie auch schon bei ca. 25° C. ein. Obgleich die Bakterie dadurch ein lebhaftes Sauerstoffbedürfniss bekundete, dass sie im hängenden Tropfen dem Rande desselben zustrebte und sich hier in dichten Haufen ansammelte, dass sie ferner Bouillon oder Milch, welche mit Lackmustinctur stark gefärbt war, besonders bei höherer Temperatur binnen 24 Stunden vollständig entfärbte (die verloren gegangene Färbung kehrte bei Luftzufuhr binnen wenigen Secunden wieder, um nach kurzem Stehen des Reagensgläschens wieder zu verschwinden), so entwickelte sie sich und proliferirte doch wiederum lebhaft in rohen Eiern, die unter den von Hüppe [12] angegebenen Cautelen mit bacillenfreiem Sporenmaterial geimpft und zur Sicherung des Sauerstoffabschlusses mit der durch Fliesspapier und Collodium nach der Impfung sofort wieder verschlossenen Oeffnung in sterilisirtes Leinöl (Leinöl hat bekanntlich die Fähigkeit, Sauerstoff zu absorbiren) gestellt worden waren. Desgleichen entwickelten sich vereinzelt stehende Colonieen in inficirter Gelatine, die nach dem Erstarren im Reagensgläschen mit nicht inficirter Gelatine hoch überschichtet worden war, selbst am Boden des Gläschens zu grossen mit verflüssigter Gelatine erfüllten ballonähnlichen Blasen, Beweis genug dafür, dass ihr Wachsthum an sich von dem Vorhandensein freien Sauerstoffes nicht sonderlich abhängig ist. Freilich kam es hierbei, wie zu erwarten, nie zur Bildung von Sporen.

Das Wachsthum auf den verschiedenen Nährboden gestaltete sich folgendermassen:

Von den bei Zimmertemperatur gehaltenen Fleischpeptongelatineplatten zeigte die Originalplatte schon am Ende des zweiten Tages eine deutliche Trübung, die, bei schwacher Vergrößerung betrachtet, als aus unzähligen, winzig kleinen, eine grünlichbraune Färbung besitzenden Colonieen bestehend sich erwies. Am dritten Tage nach der Impfung war die Originalplatte total verflüssigt. In der zweiten und dritten Verdünnungsplatte waren die einzelnen Colonieen am Ende des zweiten Tages mit blossem Auge als grauweisse Pünktchen erkennbar. Bis zum vierten Tage drangen auch die tiefer liegenden Colonieen rasch zur Oberfläche, in ihrer Umgebung die Gelatine stark verflüssigend. Bei ca. 150facher Vergrösserung betrachtet zeigten sie innerhalb der Verflüssigungszone eine graugelbliche Färbung; in der Mitte jeder Colonie lag ein dichtes Häufchen von Bakterien, während letztere in der Peripherie als einzelne ausserhalb der Verflüssigungszone in die Gelatine eindringende Individuen bei derselben Vergrösserung eben zu erkennen waren. Vereinzelt stehende Colonieen vergrösserten sich in den folgenden Tagen rasch, so dass schliesslich. selbst die zweite Verdünnungsplatte, trotzdem sie nur zwei bis drei Colonieen enthielt, der Verflüssigung total anheim fiel.

In Fleischpeptongelatinestichculturen war der Impfstich an dem der Anlegung folgenden Tage als feiner, feingranulirter Streifen erkennbar. Am nächsten Tage bildete sich an der Oberfläche der Gelatine als Zeichen der hier zunächst beginnenden Verflüssigung eine kleine Delle. Die Verflüssigung nahm hierauf, und zwar in der Richtung von oben nach unten und von innen nach aussen fortschreitend, rapid zu, so dass der Impfstich sehr bald die Form der früher üblichen Kugelpipetten annahm. In der oberen halbkugelförmigen Erweiterung befand sich unter einer flachen Luftblase eine weisslich getrübte Flüssigkeit, welche sich später an ihrer Oberfläche mit einem feinen Häutchen überzog, wahrend im unteren, verjüngten Ende des Impfstichs kleine, weissliche, krümelige Häufchen sichtbar waren, von denen aus oft kurze, weissliche Büschel, senkrecht zur Langsachse des Stichs gestellt, in die Gelatine hineinragten. Allmählich erreichte die Peripherie der oberen halbkugelförmigen Erweiterung den Baud des Gläschens; von diesem Zeitpunkte an plattete sich der Boden der Erweiterung ab und senkte sich continuirlich nach unten, so dass schliesslich der ganze Inhalt des Gläschens der Verflüssigung anheimfiel. Eine Verfärbung des Nährbodens trat nicht ein. Die verflüssigte Gelatine besass keinen bitteren Geschmack, zeigte aber deutliche Biuretreaction.

Mittels Strichs geimpfte, vorher sterilisirte Kartoffelscheiben zeigten, bei Brüttemperatur gehalten, am folgenden Tage in der nächsten Umgebung des Impfstrichs einen sammetartigen Anflug, der, durch etwa besondere Färbung sich nicht von der übrigen Kartoffelfläche abhebend, nur bei schief auffallendem Lichte zunächst erkannt werden konnte. Diese Auflagerung nahm in den folgenden Tagen an Dicke und Umfang zu und erhielt allmählich ein matt weisslichgraues Aussehen, so dass sie, besonders da die freigebliebene Umgebung sich gleichzeitig dunkler färbte, leichter erkennbar wurde. Nach ca. sechs Tagen waren die Ränder der Kartoffel erreicht, ohne dass irgend welche Faltenbildung aufgetreten wäre.

Auf Fleischpeptonagar, die in Schälchen erstarrt war, mittels Impfstriches übertragen, bildete die Bakterie bei Brüttemperatur binnen zwölf Stunden in der Nähe des Striches einen dünnen, grauweissen Belag, der, später dicker werdend, an seiner äusseren Begrenzung nach aussen gewölbte Ränder aufwies. Die im Reagensgläschen schräg erstarrte Agar überzog sich bei horizontaler Lage des Gläschens gewöhnlich von vornherein über und über mit demselben Belage, wohl in Folge von Verschleppung der Bakterie mittels des Condensationswassers.

Blutserum, im schrägen Reagensglas erstarrt, überzog sich ebenso, wie Agar, unter denselben Verhältnissen bei Brüttemperatur binnen kurzer Zeit mit einem gleichmässigen, hier mehr gelblichweissen Belage. Nach 48 Stunden trat Verflüssigung des Nährbodens ein; auch hier haftete den verflüssigten Massen trotz Biuretreaction ein bitterer Geschmack nicht an.

Alkalische Bouillon wurde unter Annahme schwach saurer Reaction bei Brüttemperatur rasch getrübt. Später überzog sich bei ruhigem Stehen die Oberfläche oft mit einem Häutchen, wahrend sich am Boden weisslichgelbe, krümelige Massen ansammelten. Auch die Bouillon zeigte nach 24 Stunden Biuretreaction, nie dagegen erhielt sie einen bitteren Geschmack.

In Erlenmeyer'schen, mit Wattebausch verschlossenen Kölbchen bei niedriger Zimmertemperatur gehaltene, sterilisirte Milch wich in der ersten Woche nach der Impfung in ihrem Verhalten keineswegs von solcher ab, die nicht geimpft war, nur ging die anfänglich amphotere Reaction allmählich in eine schwach saure über. Von der zweiten Woche ab dagegen bildete sich, ganz ähnlich, wie dies Hüppe [13] bezüglich der durch seinen Bacillus butyricus in Milch hervorgerufenen Veränderungen beschreibt, unter der Rahmschicht ein leicht gelblicher, transparenter Streifen, der nunmehr von Tag zu Tag an Breite zunahm. Der unter diesem Streifen befindliche Theil der Milch war labähnlich geronnen. Einige Tage später wurde ein deutlicher Schwund des geronnenen Theiles bemerkbar, der schliesslich soweit fortschritt, dass endlich nur ganz geringe Reste des Caseins in Form ausgefressener und krümeliger, am Boden liegender Massen übrig blieben. Beim Umschütteln vertheilten sich diese Massen in der Flüssigkeit gleichmässig, und nur einige aus dem Rahm gebildete Butterstückchen stiegen alsbald wieder zur Oberfläche. Schon vom Ende der zweiten Woche ab wies derartige Milch einen intensiv bitteren Geschmack auf, im Uebrigen war sie geruchlos und reagirte schwach sauer. Das klare Filtrat war schwach sauer, trübte sich bei der Neutralisation nicht wesentlich, liess bei Zusatz von Alkohol einen reichlichen Niederschlag fallen, zeigte deutliche Biuretreaction und intensiv bitteren Geschmack. Viel rascher, aber in ganz analoger Weise, gingen die Veränderungen vor sich, wenn die inficirte Milch bei Brüttemperatur (am raschesten bei 34°) gehalten wurde. Unter diesen Umständen war nach spätestens neun Stunden bereits das erste Auftreten des transparenten Streifens als Zeichen der beginnenden Gerinnung sichtbar; auch die übrigen Veränderungen verliefen in entsprechend kürzerer Zeit, insbesondere wies die Milch hier schon nach 24 Stunden einen deutlich bitteren Geschmack bei gleichzeitiger Biuretreaction auf.

Trockene Hitze in der Höhe von 160° genügte nach halbstündiger Einwirkung in allen Fällen, um an Seidenfaden, Glas- oder Metallgegenständen angetrocknetes sporenhaltiges Material abzutödten.

Die Widerstandsfähigkeit der Sporen gegen strömenden Wasserdampf von 100° C. (mit hoher temperirtem Wasserdampf zu arbeiten, gestattete mir der Mangel geeigneter Apparate nicht), welche mich besonders auch wegen ihrer Beziehungen zur Milchsterilisation interessirte, prüfte ich in folgender Weise:

Sporenhaltige Seidenfäden wurden mittels geglühter Pincette in sterile kochende Milch (mit Wattebausch verschlossene Reagensgläschen) geworfen, diese nach gründlichem Umschütteln in den Dampfkochtopf eingesetzt und, nachdem das Thermometer 100° C. anzeigte, von Stunde zu Stunde dem Dampfe entnommen. Nach Abkühlung des letzten Gläschens gelangten alle zusammen in den Brütschrank. Das spätere Umschlagen des Inhaltes sämmtlicher Gläschen zeigte, dass selbst nach sechs Stunden langer Einwirkung strömenden Wasserdampfes von 100° C. eine Vernichtung der Keime nicht erreicht war.

Hiernach hatte ich alle Veranlassung, in der von mir gefundenen Bakterie ebenfalls einen Vertreter der Hüppe'schen Sammelspecies zu erblicken und zwar einen solchen, der gerade diejenigen Eigenschaften in ganz hervorragendem Maasse besitzt, welchen die genannte Species ihren bösen Ruf ganz besonders fataler Beziehungen zu der in neuerer und neuester Zeit immer brennender gewordenen Frage der Milchsterilisation verdankt.

Bekanntlich muss Dauermilch, um den an dieselbe zu stellenden Anforderungen zu genügen, nicht nur für (je nach dem Verbrauchszwecke) Tage, Wochen oder Monate haltbar, sondern auch frei von Krankheitserregern, in Bezug auf Nahrungswerth und Verdaulichkeit unverändert sein und, wenn wir von den hier nicht in Betracht kommenden eigentlichen Milchconserven (Milchpulver, Milchextract, condensirte Milch) absehen, bezüglich ihres Aussehens, Geruches und Geschmackes der frischen Milch so nahe, wie möglich, stehen [14]. Da die die Haltbarkeit der Milch, sowie die Gesundheit ihrer Consumenten gefährdenden Schädlichkeiten unter gewöhnlichen Umständen ausschliesslich bakterieller Natur, bezw. Herkunft sind, so war seit der Zeit, als man dies erkannt hatte, von jeher das Bestreben der einschlägigen Methoden zunächst auf die Vernichtung der in Frage kommenden Bakterien gerichtet. Soweit es sich dabei um die Erreger der normalen Milchsäuregährungen und um krankheitserregende Bakterien im engsten Sinne des Wortes handelt, begegnet die Sterilisirung der Milch keinen erheblichen Schwierigkeiten, da die Vernichtung dieser Keime in der Milch ohne erhebliche Veränderung der letzeren unter anderem sicher durch kurze Einwirkung von 100° C. gelingt [15]. Nicht diese, sondern wie Hüppe und Löffler [16] nachgewiesen haben, die Bakterien der Hüppe'schen Sammelspecies sind es, an deren enormer Widerstandsfähigkeit die so zahlreichen Bestrebungen, eine den billigen Anforderungen entsprechende Dauermilch herzustellen, bisher scheiterten. Nach Hüppe [17] gelingt die sichere Sterilisation einer mit vielen dieser Keime verunreinigten Milch nur durch die Anwendung gespannter Dämpfe von 110-120° oder durch mindestens sechs Stunden lange continuirliche oder durch discontinuirliche Einwirkung von strömenden Dämpfen. Der Anwendung dieser zum Theil heroischen Mittel zum Zwecke der praktischen Milchsterilisirung steht einerseits die ausserordentliche Empfindlichkeit der Milch gegen die längere, bew. öftere Einwirkung besonders höherer Hitzegrade, theils der Umstand entgegen, dass bei Anwendung niedrigerer Temperaturen eine öftere, das Verfahren unverhältnissmässig vertheuernde Wiederholung der Erhitzung in längeren Pausen nöthig wird. Hüppe [18] verlangt unter Berücksichtigung dieser Schwierigkeiten, dass eine praktische Milchsterilisirung von vornherein auf den Ausschluss dieser Mikrobien gerichtet sei. Zur Erreichung dieses Zweckes als nothwendig betont er die Anbringung ausgiebiger hygienischer Einrichtungen im Stalle, die Beobachtung peinlicher Reinlichkeit daselbst, sorgfältigste Reinigung und Reinhaltung aller Gefässe und richtige Verschlüsse derselben, sorgfältige Reinigung der Euter der Kühe und der Hände der melkenden Personen; die Durchführung dieser Massregeln soll nach ihm fast allein darüber entscheiden, ob die in Frage stehenden Keime in die Milch gelangen, oder nicht. Als ein ebenfalls vorzügliches, wenn auch nicht ganz so vollkommenes Ersatzmittel empfiehlt er ferner die mechanische Befreiung der Milch (besonders durch Centrifugiren derselben) von Milchschlamm, da dieser gerade besonders die schlimmsten Dauerformen enthalte. Andererseits hat die Ueberzeugung, dass die gegebenen Verhältnisse die strikte Durchführung der Hüppe'schen Forderungen nur ganz ausnahmsweise gestatten und dass die mechanische Befreiung der Milch von Milchschlamm, wie erwähnt, keine vollkommenen Resultate liefert, das Bestreben nach einer Vervollkommnung der bisherigen Methoden nicht einschlafen lassen. Hierher gehört auch die Sterilisirung der Milch durch Erhitzen unter Luftabschluss. Man hat sich darunter nicht etwa ein Erhitzen hermetisch verschlossener Flaschen zu denken. Vielmehr besteht das Wesentliche des Princips darin, dass man den wahrend der Erhitzung der Milch aus dieser und aus den Flaschen entweichenden Gasen freien Abzug gewahrt, andererseits aber dafür sorgt, dass die Flaschen bei Beendigung der Erhitzung auf die Dauer hermetisch geschlossen werden, bevor die Aussenluft Gelegenheit hat, in die Flaschen zurückzuströmen. Der Verschluss der Flaschen wird entweder, wie bei dem Neuhauss'schen Verfahren, dem die von mir untersuchte Milch entstammte, mittels einer von aussen ohne Oeffnung des Dampfkastens zu bethätigenden Verschlussvorrichtung oder, wie bei den mit dem bekannten Soxhlet‘schen Scheibenverschluss versehenen Flaschen, automatisch durch den Luftdruck herbeigeführt. In beiden Fallen resultirt, gehöriges Funktioniren der Verschlüsse vorausgesetzt, in den Flaschen nach ihrer Abkühlung eine starke Herabsetzung des Binnendruckes, sowie eine entsprechende Befreiung des Inhaltes von atmosphärischer Luft und demgemäss von Sauerstoff; es leuchtet von vorherein ein, dass dieser letztere Umstand die Haltbarkeit der Milch, soweit sie von etwa überlebenden Keimen, deren Entwickelung an die Anwesenheit von Sauerstoff gebunden ist, bedroht wird, im Sinne einer Entwickelungshemmung günstig beeinflusst werden muss; ebenso liegt es aber auch auf der Hand, dass dieser hier entwickelungshemmende Factor etwa überlebenden Anaeroben gegenüber eine entwickelungsfördernde Rolle spielen muss. Zwischen diesen beiden äussersten Grenzen werden voraussichtlich alle möglichen Uebergänge liegen. Abgesehen davon, dass das Quantum des in den nach dem Princip des Luftabschlusses sterilisirten Flaschen zurückbleibenden Sauerstoffes gewiss nicht nur von dem Grade und besonders von der Dauer der Erhitzung abhängt, dass vielmehr hier noch andere Nebenumstände, wie z. B. der Grad der Füllung der Flaschen, von Bedeutung sind, so wird, selbst wenn man den Grad der Befreiung der Milch von Sauerstoff als constante Grosse betrachtet, der Effect des Princips für die Haltbarmachung der Milch, soweit er in einer Entwickelungshemmung durch Sauerstoffmangel zu suchen ist, in den einzelnen Fallen je nach dem Sauerstoffbedürfniss der die Erhitzung überlebenden Keime, ein durchaus verschiedener sein müssen, zumal, wie bereite angedeutet, nicht anzunehmen ist, dass alle der Erhitzung in zulässigen Grenzen widerstehenden und die Haltbarkeit der Milch bedrohenden Keime sich dem Sauerstoffmangel gegenüber in gleicher Weise verhalten; es wird demnach schon deshalb dem in Frage stehenden Principe nur eine beschränkte Bedeutung für die Lösung der Frage der Milchsterilisation beizumessen sein, es sei denn, dass die Befreiung des Inhaltes der Flaschen von Sauerstoff nicht der allein wirkende Factor der Anwendung des Luftabschlusses ist, eine Annahme, für deren Berechtigung wir zwar Analogieen nicht besitzen, die aber vorläufig ohne Weiteres nicht von der Hand zu weisen ist, weil sie meines Wissens einer Untersuchung noch nicht unterzogen worden ist.

Der Umstand, dass die von mir gefundene Bakterie einer Milch entstammte, die einem mit Luftabschluss arbeitenden Verfahren unterworfen gewesen war, dass diese Bakterie ferner eine die der bekannten Arten noch übersteigende Widerstandsfähigkeit gegen Erhitzung aufwies, dass sie im Stande war, Milch schon bei verhältnissmässig niedrigen Temperaturen zu zersetzen, und dass sie neben diesen Eigenschaften bei meinen bisherigen Untersuchungen eine zum mindesten sehr geringe Abhängigkeit von Sauerstoff gezeigt hatte, veranlasste mich, zunächst die Frage, ob die Zuhülfenahme des Luftabschlusses beim Erhitzen einer auch mit meiner Bakterie inficirten Milch überhaupt von wesentlichem Einflusse auf die Haltbarmachung derselben sei, zum Gegenstande weiterer Untersuchungen zu machen.

Zu diesem Zwecke wurden zwölf Soxhlet'sche Flaschen von je 150 grm Inhalt bis dicht an den Hals mit sterilisirter Milch [19] gefüllt, die letztere durch Einwerfen je eines Seidenfadens, dem Sporen meiner Bakterie angetrocknet waren, inficirt und die eine Hälfte (Gruppe A) mit sterilisirtem Wattebausch, die andere (Gruppe B) mit dem Soxhlet'sehen Scheibenverschluss versehen. Hierauf wurden alle 12 Flaschen gleichzeitig in den Dampfkochtopf eingesetzt und, nachdem das Thermometer an der Oeffnung des Topfes durch eine Stunde auf 100° C. gestanden hatte, je eine Flasche der beiden Gruppen entnommen, und alsdann rasch abgekühlt. In der gleichen Weise erfolgte die Entnahme und Abkühlung von je einer Flasche beider Gruppen von Stunde zu Stunde. so dass das letzte Flaschenpaar durch volle 6 Stunden der Einwirkung strömender Dampfe von 100° C. ausgesetzt gewesen war. Nach erfolgter Abkühlung auch des letzten Flaschenpaares gelangten sämmtliche Flaschen, die nach ihrer Entnahme bis dahin in Eis gestellt worden waren, gleichzeitig in den Brütschrank, dessen Temperatur auf 34° C. gehalten wurde.

Die Ergebnisse dieses von mir mehrfach wiederholten Versuches waren nicht in allen Fällen völlig übereinstimmende und klare. Ich übergehe deshalb eine specielle Schilderung derselben und beschränke mich darauf, dieselben dahin zusammen zu fassen, dass im Grossen und Ganzen die unter Luftabschluss erhitzten Flaschen in der That später umzuschlagen pflegten, als die ohne Luftabschluss einer Erhitzung von gleicher Dauer und Intensität ausgesetzten. Zu klaren Resultaten gelangte ich erst, als ich zunächst unter gütiger Leitung des Herrn Prof. Dr. Flügge und des Herrn Privatdocenten Dr. Bitter im hygienischen Institut zu Breslau, später im eigenen Laboratorium meine Versuche fortsetzte und derartig anordnete, dass zwei von mir bis dahin unterschätzte wichtige Fehlerquellen vermieden wurden. Es war dies einerseits die Verwendung einer trotz 4 tägiger Erhitzung offenbar nicht immer sicher sterilisirten Milch und ferner der von mir bei meinen früheren Versuchen gewählte Infectionsmodus, wobei in die zu inficirende Milch Seidenfäden eingeworfen wurden, denen die Sporen meiner Bakterie angetrocknet waren. Es ist dabei, wie einleuchtet, nicht möglich, jeder einzelnen Flasche auch nur annähernd die gleiche Menge des Infectionsmaterials zuzuführen, eine Vorbedingung, die bei vergleichenden Versuchen erfüllt sein muss, weil unter sonst gleichen Umständen eine mit mehr Material inficirte Flasche naturgemäss die die Fortentwickelung der fraglichen Keime begleitenden Zersetzungserscheinungen früher zeigen wird, als eine solche, die nur wenige solcher Keime enthält. Besonders wichtig aber erschien die Vermeidung der genannten Fehlerquellen deshalb, weil die im Folgenden zu schildernden Versuche nicht nur, wie die früheren, darauf hinausliefen, festzustellen, ob durch die Anwendung des Luftabschlusses überhaupt eine Erhöhung der Haltbarkeit der Milch, gleichviel welcher Art, gegenüber derjenigen einer ohne Luftabschluss erhitzten Milch zu erreichen sei, sondern namentlich auch die Entscheidung der Frage bezweckten, ob der voraussichtlich. zu erwartende gesteigerte Effekt lediglich im Sinne einer durch Sauerstoffmangel verursachten Entwickelungshemmung, oder ausserdem im Sinne einer etwaigen besseren Abtödtung der Sporen (echten Sterilisation) zu deuten sei.

Die Anordnung dieser Versuche geschah demgemäss folgendermassen: Eine Reihe Soxhletflaschen wurden mit gleichen Mengen sicher sterilisirter Milch (bezogen von der Natura-Milch-Exportgesellschaft zu Waren in Mecklenburg) beschickt und der Inhalt jeder mittels einer gleichen Anzahl Tropfen einer frischbereiteten Sporenaufschwemmung meiner Bakterie versetzt. Nach guter Durchmischung wurde hierauf einigen Flaschen je ¼ bis 1 Tropfen inficirter Milch entnommen und zur Anlegung von Agarplatten behufs späterer Feststellung der Anzahl der in einem Tropfen Milch enthaltenen Keime benutzt. Nach Anlegung der Platten wurde die eine Hälfte der Flaschen mit Wattebausch, die andere mit dem Soxhlet'schen Scheibenverschluss versehen und im Soxhlet'schen Apparate oder im Dampfkochtopf erhitzt. Nachdem der Dampf aus der Oeffnung des Topfes kräftig ausströmte, bezw. 100° C. zeigte, wurden in gleichen Zwischenräumen je zwei mit Wattebausch und zwei mit Soxlet'scher Scheibe versehene Flaschen dem Topfe entnommen; von diesen Flaschen wurde je eine mit Wattebausch und eine mit Soxhletverschluss versehene sogleich geöffnet, um nach Entnahme einer bestimmten Anzahl Tropfen Milch, die zur Anlegung weiterer zur nachträglichen Zählung der Keime bestimmter Agarplatten benutzt wurden, mit dem ihn zukommenden Verschluss (Scheibe oder Watte) verschlossen zu werden. Nach Abkühlung auch der letzten Flaschenpaare gelangten sämmtliche Flaschen und Platten in den Brütschrank. Selbstverständlich waren, wie ich hinzufüge, sämmtliche bei diesen Versuchen benutzten Gegenstände etc. vor ihrer Verwendung auf das Sorgfältigste sterilisirt worden.

Ich lasse nunmehr die Schilderung zweier Versuche und ihrer Ergebnisse folgen, von denen der erste im Breslauer Hygienischen Institut. der zweite in meinem eigenen Laboratorium angestellt und beobachtet wurde:

I. Breslauer Versuch

(nach den Ton Herrn Prof. Dr. Flügge mir gütigst übermittelten Aufzeichnungen).

Jede Flasche wird mit 100 ccm steriler Milch beschickt und dazu zehn Tropfen einer Sporenaufschwemmuug gegeben. Nach guter Durchmischung wird aus einigen Flaschen je ein Tropfen zu Platten entnommen. Dieselben ergeben im Tropfen etwa 200 bis 300 Keime des Milchbacillus.

Nach einstündigem Kochen der Flaschen waren in zwei Tropfen enthalten:

Soxhlet Watte
3 Keime. 5 Keime.

Beide Flaschen sind nach 20 Stunden verdorben.

Nach zweistündiger Kochdauer in zwei Tropfen:

Soxhlet Watte
0 Keime. 1 Keim.

Beide Flaschen nach 40 Stunden verdorben (die zur Probeentnahme geöffnete [mit Scheibenverschluss versehene] Soxhletflasche etwas früher, wie die andere, nicht geöffnete [mit Scheibenverschluss versehene]).

Nach drei Stunden: Platten alle steril; die Flaschen nach 48 Stunden nicht verdorben.

Das Ergebniss eines zwischen diesem ersten und dem folgenden liegenden, im eigenen Laboratorium nach genau derselben Schablone und mit demselben Sporenmaterial veranstalteten Zwischenversuches veranlasste mich, das Verfahren in der Folge einigermassen zu modificiren behufs Vermeidung einer Fehlerquelle, die bei diesem Zwischenversuch noch mehr, als bei dem Breslauer Versuche, störend sich bemerklich machte.

Schon bei dem Breslauer Versuch fiel es auf, dass, obgleich alle bis zu zwei Stunden erhitzten Flaschen, gleichgültig, ob mit oder ohne Luftabschluss erhitzt, durchweg umschlugen, im scheinbaren Gegensatz hierzu die Ergebnisse der Plattenzählungen für eine stärkere Wirksamkeit der Erhitzung unter Luftabschluss im Sinne einer echten Sterilisation zu sprechen schienen. Ueber die richtige Deutung dieses Widerspruches entfiel indes jeder Zweifel, als ich bei dem erwähnten Zwischenversuche auf den von der erhitzten Milch angelegten Platten überhaupt keine Bakterienkeime erhielt, trotzdem die Flaschen, genau wie das erste Mal, verdarben. Die Erklärung war nunmehr einfach: das den Flaschen nach ihrer Erhitzung zur Anlegung von Platten entnommene Quantum Milch war ein im Verhältniss zu der Anzahl der die Erhitzung überlebenden Keime zu geringes gewesen, um bei der Controle ein den thatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Ergebniss zu liefern. Um zu einem solchen zu gelangen, bedurfte es deshalb der Entnahme eines grösseren Quantums, welches andererseits aber auch nicht so hoch bemessen sein durfte, dass durch die in Folge des Milchzusatzes entstehende Trübung der Platten die Zählung der Colonieen unmöglich wurde.

Hiernach gestaltete sich der in Frage stehende zweite Versuch folgendermassen:

II. Coseler Versuch.

Zur Infection dienten 15 Tropfen Sporenaufschwemmung meiner Bakterie, die zu je 170 grm steriler Milch zugesetzt wurden.

Die Zählung der von der inficirten Milch vor ihrer Erhitzung angelegten Platten ergab in ¼ Tropfen inficirter Milch 115, in ½ Tropfen 217, in 1 Tropfen 490 Keime meiner Bakterie.

Zur Anlegung der Platten nach geschehener Erhitzung dienten je 10 und 20 Tropfen Milch. Die nachträgliche Zählung [20] ergab:

Dauer der Erhitzung Erhitzung
mit Luftabschluss ohne Luftabschluss
pr. 10 Tr. Zahl der Keime pr. 20 Tr. Zahl der Keime pr. 1 Tr. Zahl der Keime pr. 10 Tr. Zahl der Keime pr. 20 Tr. Zahl der Keime pr. 1 Tr. Zahl der Keime
1 Stunde 532 1356 63 573 1192 58,8
2 Stunden 99 192 9,7 95 205 10
2 Stunden 38 72 3,6 36 65 3,3
2 Stunden 0 0 0 0 0 0

Demgemäss schlugen alle bis incl. 2 ½ Stunden erhitzten Flaschen um, während die übrigen sämmtlich, trotz mehrtägigem Aufenthaltes im Brütschrank bei constant 34° C., unverändert blieben.

Die Reihenfolge, in welcher die Flaschen umschlugen, d. h. die erste Andeutung des transparenten Streifens zeigten, war folgende:

Zeitdauer bis zum Umschlagen Art des Verschlusses Erhitzungsdauer Behandlung der Flaschen nach der Erhitzung
9 Stunden Watte 1 Stunde nicht geöffnet
9 Stunden Watte 1 Stunde geöffnet
11 Stunden Scheibenverschluss 1 Stunde geöffnet
15 Stunden Watte 2 Stunden nicht geöffnet
15 Stunden Watte 2 Stunden geöffnet
17 Stunden Scheibenverschluss 2 Stunden geöffnet
19 Stunden Watte 2 ½ Stunden nicht geöffnet
19 Stunden Watte 2 ½ Stunden geöffnet
21 Stunden Scheibenverschluss 2 ½ Stunden geöffnet
33 Stunden Scheibenverschluss 1 Stunde nicht geöffnet [21]
S3 Stunden Scheibenverschluss 2 Stunden nicht geöffnet
49 Stunden Scheibenverschluss 2 ½ Stunden nicht geöffnet

Zur Erklärung der zunächst auffallenden Thatsache, dass das bei diesen beiden Versuchen benutzte Sporenmaterial in Bezug auf seine Widerstandsfähigkeit zur Zeit dieser Versuche erheblich gegen früher zurückstand, insofern, als es früher eine sechsstündige Einwirkung heisser Dämpfe von 100° C. regelmässig überstanden hatte, während bei den eben geschilderten Versuchen schon eine dreistündige Einwirkung zur Abtödtung genügte, führe ich an, dass zwischen meinem ersten und den letzten Versuchen ein Zeitraum von reichlich dreiviertel Jahren lag. Das von mir aufbewahrte Material hatte während dieser Zeit seine Widerstandsfähigkeit offenbar z. Th. ebenso eingebüsst, wie die Fähigkeit, sporenbildende Keime hervorzubringen. Alle meine Bemuhungen der letzten Zeit, mich durch Weiterzüchtung in den Besitz eines Materials von der früher beobachteten Widerstandsfähigkeit zu setzen, scheiterten, wie ich hinzufüge, nicht nur, vielmehr blieb auch die Sporenbildung trotz günstigster Bedingungen überhaupt aus. Für die aus den angeführten Versuchen sich ergebende Beantwortung der denselben zu Grunde gelegten beiden Fragen kommt die erwähnte Verringerung der Widerstandsfähigkeit um so weniger in Betracht, als die Dauer der Erhitzung einer durch heissen Wasserdampf von 100° C. zu sterilisirenden Milch bekanntlich eine Stunde nicht überschreiten darf, ohne die erstere in einer für den Gebrauch unzulässigen Weise zu verändern.

Die erste Frage nun, ob die Haltbarkeit einer mit meiner Bakterie inficirten Milch nach der Erhitzung unter Luftabschluss eine höhere sei, als nach Erhitzung ohne Luftabschluss, glaube ich auf Grund der angeführten, besonders des Coseler Versuches, der daraufhin besonders genau beobachtet wurde, ohne Weiteres bejahen zu müssen, denn das Umschlagen der nur eine Stunde unter Luftabschluss erhitzten und nach der Erhitzung nicht geöffneten Flasche erfolgte bei dem Coseler Versuche mindestens mehrere Stunden später, als das Umschlagen sämmtlicher Flaschen, die auch 2 bis 2 ½ Stunden ohne Luftabschluss erhitzt worden waren; ja selbst die unter Luftabschluss erhitzten und nachträglich vorübergehend geöffneten Flaschen schlugen durchweg, wenn auch unbedeutend später, um, als solche, die ohne Luftabschluss während gleicher Dauer erhitzt worden waren.

Die zweite Frage, ob diese Erhöhung der Haltbarkeit auf eine im Sinne einer echten Sterilisation wirkende Steigerung des Effectes der Erhitzung zurückzuführen sei, muss dagegen verneint werden. Schon der Umstand, dass die vorübergehende Oeffnung der unter Scheibenverschluss erhitzten Flaschen genügte, um den Effect des Luftabschlusses zum grossen Theil wenigstens aufzuheben, liess vermuthen, dass die durch den Luftabschluss erreichte Steigerung der Haltbarkeit lediglich, auf eine durch Sauerstoffmangel gesetzte Entwickelungshemmung zurückzuführen sei. Das Umschlagen solcher unter Luftabschluss erhitzter, nachträglich aber geöffneter Flaschen erfolgte allerdings, wie erwähnt, immer noch später, als dasjenige solcher, welche ohne Luftabschluss durch die gleiche Dauer erhitzt worden waren, doch erklärt sich dies ungezwungen aus dem Umstande, dass solche Flaschen, auch wenn sie, während sie noch heiss sind, vorübergehend geöffnet werden, nachträglich noch immer unter Sauerstoffmangel zu leiden haben. Auch solche Flaschen zeigen nämlich nach der Abkühlung die lediglich im Sinne einer Luftverdünnung im Binnenraum zu deutende Einziehung der Schlussplatte. Absolut beweisend für die Entscheidung der Frage nach der Art der durch die Erhitzung unter Luftabschluss bewirkten Steigerung der Haltbarkeit der Milch ist indess das Resultat der Plattenzählungen. Besonders das Ergebniss des angeführten Coseler Versuches ist geeignet, jeden Zweifel darüber zu zerstreuen, dass die Anwendung des Luftabschlusses von keinem Einfluss auf die Abtödtung der Keime ist. Bei dem Breslauer Versuche zwar blieb die Zahl der die Erhitzung überlebenden Keime in den unter Luftabschluss erhitzten Flaschen durchweg Muter der Zahl derjenigen zurück, welche in den ohne Luftabschluss erhitzten Flaschen eine gleiche Erhitzungsdauer überstanden hatten, doch. hielten sich diese Differenzen innerhalb der Fehlergrenzen; andererseits stellte sich. das Verhältniss bei dem Coseler Versuche zum Theil gerade umgekehrt, Beweis genug dafür, dass diese Differenzen mit der Anwendung des Luftabschlusses selbst nichts zu thun hatten.

Nach alledem ist die durch den Luftabschluss thatsächlich erreichte Erhöhung der Haltbarkeit lediglich im Sinne einer durch Sauerstoffmangel herbeigeführten Entwickelungshemmung aufzufassen.

Es wäre ungerecht, auf Grund dieser Ergebnisse der Verwendung des Luftabschlusses bei der Erhitzung zum Zwecke der Haltbarmachung der Milch jeden Werth absprechen zu wollen. Vielmehr erscheint die Verwendung dieses Principes überall da zweckmässig, wo es lediglich auf die Erzielung einer Haltbarkeit von beschränkter Dauer ankommt; denn der Luftabschluss verhindert, bezw. verlangsamt innerhalb gewisser Zeitgrenzen das Auskeimen eines grossen Theiles derjenigen Keime, deren Abtödtung die Anwendung höherer Hitzegrade oder wiederholter Erhitzungen verlangt; es wird deshalb durch seine Anwendung bei gleicher Höhe und Dauer der Erhitzung innerhalb der Grenzen der partiellen Milchsterilisation gewöhnlich ein höherer Grad von Haltbarkeit erreicht, als ohne dieselbe. Andererseits darf man nicht vergessen, dass solche Präparate, da sie eben vielfach lebensfähige Keime enthalten, früher oder später je nach der Aussentemperatur und nach der Abhängigkeit dieser Keime von Sauerstoff doch verderben und im Speciellen den Anforderungen nicht entsprechen, die man an ein Präparat zu stellen berechtigt ist, welches, wie gegenwärtig so vielfach im Handel, als "keimfreie" Dauermilch ausgeboten wird.

Es sei mir noch gestattet, Hrn. Prof. Dr. Flügge und Hrn. Privatdocenten Dr. Bitter für die gütige und wohlwollende Unterstützung bei meinen Arbeiten an dieser Stelle meinen wärmsten Dank zu sagen.

Litteratur-Verzeichniss.

  1. Cahen, Ueber das Reductionsvermögen der Bakterien. Diese Zeitschrift. 1887. Bd.II. Hft. 3. S. 386.
  2. Flügge, Die Mikroorganismen. Leipzig 1886.
  3. Fränkel, Grundriss der Bakterienkunde. Berlin 1887.
  4. Hüppe,
    1. Untersuchungen über die Zersetzungen der Milch durch Mikroorganismen. Mittheilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt. Bd. II. S. 309.
    2. Ueber Milchsterilisirung und über bittere Milch mit besonderer Rücksicht auf die Kinderernährung. Berliner klinische Wochenschrift. 1891. Nr. 29. S. 717.
  5. Petri und Maassen, Ueber die Herstellung von Dauermilch unter Anlehnung an Versuche mit einem bestimmten neueren Verfahren. Sonderabdruck aus den Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt. Bd. VII.

Fußnoten

  1. Die zwölfte, bittere Milch enthaltende Flasche war zur Vornahme dieser Versuche als ungeeignet erachtet worden, da sie vorher bereits geöffnet worden war.
    [Zurück zum Text]
  2. Hüppe, a. a. O. a. S. 353 u. b. S.720.
    [Zurück zum Text]
  3. Hüppe, a. a. O. a. S. 858 und b. S. 720.
    [Zurück zum Text]
  4. Fränkel, a. a. O. S. 180.
    [Zurück zum Text]
  5. Flügge, a. a. O. S. 300.
    [Zurück zum Text]
  6. Hüppe, a. a. O. b. S. 720. 721.
    [Zurück zum Text]
  7. Hygienische Rundschau. 1891. Nr. 5. 8. 191.
    [Zurück zum Text]
  8. Ebenda. 1891. Nr. 16. S. 687.
    [Zurück zum Text]
  9. Hüppe, a. a. O. b. S. 720. 721.
    [Zurück zum Text]
  10. Hüppe, a. a. O. b. S. 720. 721.
    [Zurück zum Text]
  11. Centralblatt fiir Bakteriologie. Bd. X. Hft. 9.
    [Zurück zum Text]
  12. Hüppe, Ueber die Verwendung von Eiern zu Culturzwecken. Centralblatt für Bakteriologie. Bd. IV. Nr. 3. S. 80.
    [Zurück zum Text]
  13. Hüppe, a. a. O. a. S.354.
    [Zurück zum Text]
  14. Petri und Maassen, a. a. O. S. 8. 9.
    [Zurück zum Text]
  15. Hüppe, a. a. O. b. S. 718.
    [Zurück zum Text]
  16. Hüppe, a. a. O. S. 720.
    [Zurück zum Text]
  17. Hüppe, a. a. 0. S. 721.
    [Zurück zum Text]
  18. Hüppe, a. a. O. S. 718. 719.
    [Zurück zum Text]
  19. Die Sterilisation wurde in der Weise vorgenommen, dass die Milch durch vier Tage hindurch je 20 Minuten strömenden Wasserdämpfen von 100° C. ausgesetzt wurde.
    [Zurück zum Text]
  20. Ich habe mich bemüht, diese Zahlung so genau wie möglich zu machen; bei der hohen Zahl der in einzelnen Platten vorhandenen Keime ist ein Verzählen nicht ausgeschlossen, doch durften bei der angewandten Sorgfalt die daraus entspringenden Fehler kaum so grosse sein, um irgendwie in's Gewicht zu fallen.
    [Zurück zum Text]
  21. Da das Umschlagen dieser, ebenso wie der folgenden Flasche, in die Nacht fiel, BO ist es möglich, dass die erstere schon einige Stunden eher verdarb, als die letztere.
    [Zurück zum Text]

URL: http://www.gunde.de/genealogie/texte/bittere_milch.php